Freitag, 15. August 2014

Jude - oder was?

Das gibt's nicht; denkt man. Gibt's aber doch. Ein Teil spielt vor ca. 40 Jahren, in einem fortgeschrittenen Stadium meines Jura-Studiums. Die Scheine sind geschrieben, ich lungere für das gute Gefühl im so schlecht vorhersagbaren Staatsexamen beim Repetitor herum - es ist die alteingeführte Kölner Institution Dambach-Schöneck mit eng zusammengeschobenen uralten Schultischen irgendwo in Lindenthal - und tuschele mit einem Kumpel über ein anstehendes Referat in einem Seminar zum römischen Recht, speziell über einen ebenso unterhaltsamen wie nachdenklichen Aufsatz von Rudolf von Jhering: "Reich und arm im altrömischen Civilprozess" aus dem Bändchen "Scherz und Ernst in der Jurisprudenz" a.d.J. 1884, dort S. 175 ff. Wer Spaß daran hat, kann hier darin blättern - ich finde, es lohnt auch heute noch: Jhering zeigt, dass der Zugang zum Recht (auch) bei den alten Römern alles andere als gleich war.

Hier geht's mir aber gar nicht um den Inhalt, sondern um die Reaktion meines Kumpels und auch um meine eigene: "Jhering? Der schreibt sich doch mit "h". Da musst du vorsichtig sein, ich glaube, der ist Jude." "Ach," schnappe ich nach kurzem Stutzen, "was meinst du denn, was ich bin?" Irritierte, leicht schreckgeweitete Augen und ich sage dann besänftigend "Keine Panik." Ziemlich schräge Situation, und irgendwie ist auch meine Deeskalation sehr schräg und ich habe Jahre darüber nachgedacht. Der Witz ist dabei nebenbei: Hätten wir gemeinsam geduscht - was eher unwahrscheinlich war, denn mein Sport war Schwimmen, sein Sport war Fechten in einer schlagenden Verbindung und jedenfalls dort sind Dusch-Rituale nicht sicher verbürgt - dann hätte er mir meine beschwichtigende Erklärung nicht mal abgenommen. Ich bin nämlich ganz schön beschnitten, darauf komme ich nochmal zurück.

Aber es ist auch interessant, auf dieser Grundlage einmal nachzudenken über das schräge, manchmal schrille, manchmal hölzern-reservierte, manchmal liebevoll-emotionale Verhältnis zu Deutschen jüdischen Bekenntnisses / zwischen Deutschen und Israelis / zwischen Deutschen und Israel / zwischen Deutschland und Israel / über bedingte individuelle Reflexe wie das mechanische Scannen von Namen auf leiseste Hinweise auf eine religiöse Einordnung / über bedingte kollektive Reflexe wie die Reaktionen auf Krisen im Nahen Osten / über individuelle und kollektive Handlungsmuster wie die von Elias Canetti definierte Klagemeute, die sich mit einem besonderen Schauer auf dem Rücken in die Rolle von Opfern des Holocaust hineindefiniert / über Eigenschaften Israels, die Deutsche geprägt haben / über Verwurzelung und Mobilität / über Identität und Pluralität / auch über einen urdeutschen Dialekt, der unter anderen Umständen eine Amtssprache Israels hätte werden können / und über Rituale, bei denen wir eine Beurteilung scheuen, wie eben die Beschneidung.

Wird fortgesetzt.

Anm. 27.9.2020:
Ich habe oben gerade ein paar Formulierungen geändert, die eher gedankenlos waren und dann in ihrer angeblichen Selbstverständlichkeit eigentlich besonders effizient diskriminieren und verletzen: So hatte ich von einem "Verhältnis zwischen Deutschen und Deutschen jüdischen Glaubens" gesprochen, damit aber die letzteren - obwohl ja natürliche Teilmenge der ersteren - ein Stück weit separiert. Dann hatte ich die automatisierte Analyse von Namen auf "ethnische und religiöse Einordnung" thematisiert. Nun: die ethnische Zugehörigkeit könnte vielleicht im Falle der sorbischen und dänischen Minderheit relevant sein, aber keinesfalls bei einem Bekenntnis. Tja, leider ist man sehr schnell mitten im Problem. Weil man einen absolut unvergleichbaren Zivilisationsbruch am liebsten mit sprachlicher Vereinfachung und Externalisierung übertüncht.