Donnerstag, 24. Oktober 2013

Unser first handy ist verwanzt

Das Kanzlerhandy ist verwanzt. Die vielen SMS waren nicht nur für befreundete Politikerinnen offen – wie die legendäre Botschaft vom nahenden Rücktritt Karl Theodors – sondern ebenso für die so genannten befreundeten Dienste, ebenso ihre Gespräche. Wir können davon ausgehen: Das hat viele Verhandlungen für die, die immer ein paar Asse mehr im Ärmel hatten, kalkulierbarer und leichter gemacht. Ohne es zu merken, wurde unsere sonst eher zurückhaltende und vorsichtig agierende Frau Merkel zum sprichwörtlichen Waschweib.
Als Geheimschutzbeauftragter bekommt man es schon in den Grundlehrgängen beigebogen: „Es gibt feindliche ebenso wie befreundete Dienste. Gehen Sie vorsichtshalber davon aus, dass beide ungefähr das Gleiche können und auch tun.“ Und das ist der eigentliche Skandal: Dass zwar in unsere eigenen Dienste kaum vorstellbare Summen investiert werden, wie die Abermillionen in den festungsähnlichen Neubau des BND in Berlin mit der Kantenlänge eines U-Bahn-Streckenabschnitts und einer Fläche von mehr als 30 Fußballfeldern. Dass aber nicht einmal die Beratung der eigenen Regierungsspitze über Informationsrisiken, Angriffstechniken und die Grenzen des technischen Schutzes funktioniert hat. Nun ja, der Chef des BND (der, der zeitweise auch als fliegender-Teppich-Importeur in Erscheinung getreten war) ist ein erklärter und überzeugter Atlantiker. Entweder wurde er hier nach allen Regeln der Kunst angefüttert und eingewickelt. Oder die nationalen Hierarchien sind in der solidarischen Gruppendynamik und geschmeidigen Kooperation der Dienste ohnehin zweitrangig.
Die weitere Dimension: Am 11. Juni 2013 fand in Berlin der Jahrestag des BDI statt, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Am gleichen Tag hatte das Handelsblatt mit einer Titelgeschichte zur NSA-Ausspähaffäre aufgemacht, mit Obamas ikonenhaftem Wahlkampf-Bild und -Logo „Yes we can“ leicht verfremdet zu „Yes we scan“. 

Das Handelsblatt wies in mehreren Artikeln auf die naheliegenden Risiken der Industriespionage hin. In den Festansprachen auf dem Jahrestag der Deutschen Industrie: Keine Spur davon, kein einziger Hinweis, dass die Problematik auch nur begriffen worden wäre, geschweige denn dass nun mit hoher Priorität Gegenstrategien auf die politische Agenda kämen. Oder: Dass man den Vorsprung durch Technik sonst getrost abschreiben könnte. Siehe zum Problembereich NSA-Abhörskandal auch meinen Post vom 7.6.2013 "To die in friendly fire: Rechtsstaat, Privatsphäre und Freiheit".
Wie schon auf dem BDI-Jahrestag, dann auch im Wahlkampf: Ebenso wie zu  Bundeswehr, Drohnen-Beschaffung und ISAF, so auch zum Abhörskandal komplette Fehlanzeige der Regierungsparteien. Bei unserer lokalen Podiumsdiskussion hatte der CDU-Kandidat, der am 22. September dann erwartungsgemäß mit großer Mehrheit gewählt wurde, auf konkrete Frage nach den möglichen Auswirkungen und etwaigen Vorsichtsmaßregeln ganz treuherzig gesagt: Er möchte gar nicht an der Stelle der Dienste sein – soviel Blech anhören zu müssen! Das war wohl auch abwiegelnd gemeint: Die Ozean-haften Informationsmengen unserer tagtäglichen Kommunikation, die könnte doch ohnehin niemand abschöpfen oder gar auswerten; und das hatte man sicher auch der Kanzlerin weisgemacht. Anm.: Der gute Mann war da schon für fünf Legislaturperioden im Bundestag und inzwischen immerhin amtierender Vorsitzender des Innenausschusses. Da sollte man mit der Arbeit der Dienste und der politischen Dimension von Abhör-Affären gut vertraut sein.
Wir haben einen gewaltigen blinden Fleck. Oder sogar mehrere: Einerseits vor den Aktivitäten unserer Bündnispartner – die zuallererst ihre nationalen Interessen im Blick haben, und zwar erklärtermaßen auch die ihrer Wirtschaft. Andererseits, was die Risiken von Technologie angeht, speziell der Informations- und Kommunikationstechnologie – für die ein ständig wiederkehrendes Kanzlerwort offenbar besonders gilt: „Alternativlos!“. Sind sie das wirklich oder sollte man nicht mal seriös mit den Bürgern darüber sprechen, dass es auch ein paar dunkle Flecken und Anlass für kluge Vorsicht gibt?

Nachtrag mit Auszug aus dem Wiki-Artikel zum BND (abgefragt 24.10.2013, Hervorhebungen von mir)
Der BND ist der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland und damit zuständig für die Beschaffung sicherheits- und außenpolitisch relevanter Erkenntnisse aus dem Ausland bzw. über das Ausland (§ 1 Abs. 2 BND-Gesetz). Er darf hierzu nachrichtendienstliche Mittel, wie zum Beispiel Observation, Legendierungen und Tarnkennzeichen, anwenden. Im Unterschied zu den Auslandsgeheimdiensten einiger anderer Staaten hat der BND nach § 2 des BND-Gesetzes grundsätzlich keine polizeilichen Exekutivbefugnisse, ist also z. B. nicht zur Durchführung von Festnahmen berechtigt.
Seine Erkenntnisse gibt der Dienst weiter an die Bundesregierung und Abgeordnete des Bundestags. Nach eigenen Angaben erstellt der BND im Monat rund 300 Berichte zu verschiedenen Themen und Ländern und beantwortet im Monat etwa 800 Anfragen zu Krisengebieten oder konkreten Sachverhalten (Stand 2013). In Hintergrundgesprächen informiert der BND Abgeordnete, er nimmt an Sitzungen von Bundestagsausschüssen teil und brieft Ministerien. Seit Anfang 2009 ist der BND nicht mehr in acht, sondern in zwölf Abteilungen unterteilt. Der BND plant eine neue Abteilung mit 130 Mitarbeitern zur Abwehr von Cyberspionage.

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