Freitag, 30. August 2013

Von Auschwitz über Srebrenica nach Damaskus

Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und früherer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hat am 28.8.2013 in der Süddeutschen seinen Kommentar zu einem – von ihm dort unterstützten – militärischen Einsatz des Westens in Syrien betitelt „Nie wieder Srebrenica“. Hier auch der Artikel im Internet, mit der etwas modifizierten Überschrift „Lehren aus Srebrenica“. Ischinger nutzt Appell-artig eine Wortfolge, mit der  Joschka Fischer auf dem Kosovo-Sonderparteitag der Grünen in Bielefeld am 7.4.1999 das robuste Eingreifen in Ex-Jugoslawien legitimiert hatte: „Nie wieder Auschwitz!“, siehe auch einen weiteren Artikel aus der Süddeutschen.

Ischinger rückt den nun erwarteten Militärschlag zutreffend in die Nähe einer Strafexpedition. An seinem Handlungsplan bleibt dann aber der Übergang zu der eigentlich anvisierten diplomatischen Lösung völlig unkalkulierbar. Und der Vergleich mit Bosnien ist wohl eher vom dortigen Ergebnis her Wunsch-gedacht.

Die Problemlage in Syrien hat mit Landkarten, Fahnen und Staatsangehörigkeiten kaum noch etwas zu tun. Moskau und Washington mögen sich auch als diplomatische Garanten des Friedens verstehen – am Verhandlungstisch müssten allerdings ganz andere Nationen und Gruppen sitzen, wenn denn die Ergebnisse repräsentativ und nachhaltig sein sollten, Gruppen, die man ggfs. nicht einmal aufwerten oder stärken will. Zum anderen sind die großen Player der Geopolitik und ist insbesondere die sich nun wieder formierende Allianz der Aktiven viel stärker in den Trichter-Teppich des Nahen Ostens verstrickt, als dass sie als ehrliche Makler auftreten könnten. Ihre unbezahlten Hypotheken reichen zurück zu der eigennützigen und bis heute wirkenden Operation Ajax, mit der der säkulare iranische Staatspräsident Mossadegh gestürzt und ein despotischer Reza Pahlewi installiert wurde, über die fatale Waffenbrüderschaft mit einem später (in die Schlinge) fallen gelassenen Saddam Hussein bis zu den verwickelten Konfrontationen der neueren Zeit. Nichts, was den dringend erforderlichen Vorschuss an Vertrauen und Verlässlichkeit schaffen würde.

Erst recht verstehe ich die Dosierung nicht, in der Ischinger äußere Gewalt anwenden will – offensichtlich zu wenig, um alle Konfliktpartner bis zur Passivität zu schwächen, offensichtlich zu viel, um Frieden oder zumindest Waffenstillstand wahrscheinlicher zu machen und neue zivile Opfer zu vermeiden. Aber wahrscheinlich genug, um unsere Waffendepots nach dem bewährten Muster „old out, new in“ zu sortieren.


Etwas distanzierter - wenn auch nicht beruhigter - könnte man urteilen, wenn Deutschland mit dem mutmaßlichen Einsatz von chemischen Kampfmitteln gar nichts zu tun hätte. Nur: gerade das ist nicht der Fall. Und zwar nicht etwa schon deshalb, weil Deutschland in den Dreißiger Jahren Substanzen wie Sarin und Tabun entwickelt hätte, durch Chemiker der IG-Farben. Oder weil Deutschland chemische Kampfstoffe wie Senfgas oder Phosgen im ersten Weltkrieg genutzt hätte - wer sich ein grauenhaftes Bild vom ersten wirkungsvollen Einsatz chemischer Waffen an der Westfront am 22. April 1915 in der Zweiten Flandernschlacht bei Ypern verschaffen möchte, dem sei André Malraux Geschichte „Guerre et fraternité“ nachdrücklich ans Herz gelegt.

Nein, viel unmittelbarer:
U.a. deutsche Firmen hatten nicht nur Saddam Hussein mit Ingenieur-Technik und Vorsubstanzen zur Herstellung chemischer Kampfstoffe unterstützt, die sowohl militärisch im ersten Golfkrieg eingesetzt wurden als auch gegen die eigene kurdische Bevölkerung - als wir Saddam noch zu unserem Lager zählten. Deutschland hat ebenso Syrien ertüchtigt, ursprünglich in Folge eines Wettrüstens im Nahen Osten, das offenbar durch die Furcht vor einer nuklearen Bewaffnung Israels ausgelöst worden war. Oder: „Frieden schaffen mit immer mehr Waffen“. Was immer das Kriegswaffenkontrollgesetz tatsächlich bewirken kann - hier hat das Instrument offensichtlich mehrfach fatal versagt.

Und wer immer jetzt chemischen Kampfstoff eingesetzt hat: Wir könnten daran verdient haben. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Und so führt tatsächlich eine Spur massiver Inhumanität von Auschwitz nach Damaskuseiner der ältesten kontinuierlich bewohnten Städte der Welt. Anders aber, als Fischer und Ischinger denken.

Nachtrag:
Das britische Parlament hat gestern mit Mehrheit die von Premierminister Cameron vorgeschlagene Beteiligung an einer neuen "Koalition der Willigen" abgelehnt! Dies entspricht auch der weit überwiegenden Skepsis der britischen Bürger - wie Cameron in seiner Reaktion ganz unumwunden zugab.

Ich bin nicht sicher, ob dies die erste parlamentarische Abfuhr westlicher Staaten für eine Einsatz-Entscheidung war; eine solche Entscheidung des britischen Parlaments ist übriges auch nicht bindend. In Deutschland jedenfalls hat der - hier konstitutiv entscheidende - Bundestag in nahezu 120 Einzelbeschlüssen (diese habe ich mit den jeweiligen Anträgen und Protokollen als Excel-Liste hier dokumentiert) die Beschlussfassung des Kabinetts in jedem Einzelfall höchst verlässlich indossiert. Sodass ich immer mehr daran zweifele, ob wir von einer effizienten Kontrolle und von einer deutschen Parlamentsarmee sprechen können.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen