Sonntag, 2. Juni 2013

Jack & Davy



So eine Tippeltour ist eine Art roadmovie und als Titelsong hätte ich den ersten Tagen sofort an „Hit the road Jack!“ von Ray Charles gedacht, „don’t you come back no more, no more, no more no more…“ Auch das Wetter war danach. 
Wie schnell es sich doch wandeln kann: Gestern setze ich meine Tour in Dierath fort. Zunächst ein paar Ansprechpartner etwa meines Alters, skeptisch wie bekannt. Dann aber klingele ich an einem weiteren Haus und werde fast hinein gesogen: „Ich hab’s schon gelesen, dass Sie wieder Stimmen sammeln und habe auf Sie gewartet.“ Es ist eine Dame aus den Dreißigern des letzten Jahrhunderts und sie will schnell unterschreiben. Nein, doch nicht ganz unbesehen, erst soll ich noch erklären, was genau ich von den Auslandseinsätzen der Bundeswehr halte, die ich zu einem thematischen Schwerpunkt gemacht habe. „Die halte ich ohne klare gesetzliche Eingriffsgrundlage für schlicht verfassungswidrig“, das erläutere ich noch etwas und bin um eine Unterstützungsschrift reicher. Bei der Verabschiedung sagt sie noch: „Alle meckern wir – es ist gut, wenn einer was tut.“ Klar: das tut einem gut.
Wenige Häuser weiter treffe ich eine Schweizerin, die zwar hier nicht wahlberechtigt ist, aber in zwei Positionen völlig mit mir übereinstimmt: Erstens haben die Schweizer mit der doppelten Staatsangehörigkeiten keine Probleme und zweitens sind die Schweizer Volksabstimmungen ein demokratisches Fitnessprogramm für politische Sachfragen – an dem sie im Übrigen auch als Auslandsschweizerin teilhat. Und die in einem früheren Blog erwähnte Abstimmung über die Schweizer Armee hat tatsächlich zu einer breiten Kompetenz der Schweizer zu Aufgaben und Nutzen ihrer Waffengattungen geführt. Exkurs: Klare Höhenluft ist offenbar hilfreich für direkte Demokratie zur Außen- und Sicherheitspolitik: Die Österreicher haben vor kurzem über die Wehrpflicht abgestimmt und wollen sie behalten. In Deutschland hatte es dazu nur den Federstrich eines zwischenzeitlich verreisten Politikers gegeben und keine erinnernswerte gesellschaftliche Debatte.
Allerdings stimmen die Schweizerin und ich keineswegs zu 100% überein: Sie sieht nämlich Auslandseinsätze als einen guten und quasi de-eskalierenden Job für die etwas rauflustigeren jungen Männer an. Damit allerdings habe ich zwei massive Probleme: Einerseits ist auch in Deutschland eine Meldung zur Bundeswehr signifikant gekoppelt an das regionale oder individuelle Arbeitslosigkeitsrisiko – so dass man Strucks geflügeltes Wort mit Fug und Recht so abwandeln darf: „Am Hindukusch verteidigen die Söhne Mecklenburg-Vorpommerns die Freiheit der jungen Baden-Württemberger.“ Es sind also nicht notwendigerweise nur diejenigen jungen Männer vor Ort, die gerne schießen, sondern auch viele, die keine Wahl haben oder denen wir keine andere Wahl lassen. Andererseits möchte ich mir ein nicht unwahrscheinliches Szenario gar nicht näher ausmalen: Ein junger Deutscher mit Türken-Feindbild lebt seine Xenophobie in Afghanistan aus, mit scharfem Schuss und staatlichem Auftrag! Zur selektiven Rekrutierung der Bundeswehr hier eine Darstellung mit einigen spezifischen Daten.
Mit einem guten Bekannten, der wie ich in den Siebzigern bei der Bundeswehr gedient hatte, spreche ich am nächsten Tag über die Wehrpflicht. Er sieht die Abschaffung der Wehrpflicht als gut und richtig an (Anm.: technisch ist es derzeit eine Aussetzung, da man das Rechtsgefüge nicht zu sehr antasten wollte). Man mute den jungen Menschen mit der Wehrpflicht doch etwas zu, taste ihre Freiheit und ihre Entwicklungsmöglichkeiten an. Stimmt. Trotzdem bin ich entweder dafür, die Bundeswehr insgesamt abzuschaffen (wenn wir, wie es gerne heißt, nur noch von Freunden umzingelt sind) oder aber die Wehrpflicht beizubehalten. Und zwar als Fußfessel für die Politik. Für mich passt nicht zusammen, wenn sich Politiker der von mir sonst durchaus geschätzten Bündnis-Grünen die robuste militärische Option offen halten wollen, etwa für die völkerrechtlich nebelhaften R2P-Konstellationen (Theorie der Responsibility to Protect = Pflicht zu Menschenrechts-schützenden Eingriffen). Wenn diese Politiker aber meinen, die eigene Mitglieder- oder Wählerschaft sollte nicht dabei sein, vorne, wo’s arg wehtun kann.
Ich bin ein Anhänger der guten alten Tradition des Kampfes der Häuptlinge, bei dem Planung, Ausführung und Schmerzempfinden in einer Person zusammen fallen – das garantiert in aller Regel viel Nüchternheit und vornehme Zurückhaltung der Elite. Und wenn die Häuptlinge nicht mehr antreten wollen, dann doch eine möglichst repräsentative Auswahl der Wähler/innen, die ab und zu mit den Häuptlingen sprechen oder die sie wählen. Jedenfalls sollte es dazu eine gesellschaftliche Debatte geben, keinen Federstrich. Wer meine Position zur Wehrpflicht etwas näher ergründen möchte: Hier, mit nochmaligen Grüßen in die Schweiz!

Inzwischen hat sich etwas sehr grundlegend geändert – die Stimmung, das Wetter oder beides. Jedenfalls ist das Misstrauen weitgehend verschwunden und mein Klinkenputzen ruft bei Weitem nicht mehr das Stirnrunzeln hervor wie noch in den ersten Tagen, wirkt wohl nicht mehr als Provokation. Die Ursache ist klar und wird in fast jedem Gespräch angeführt, auch von der zu Anfang dieses Post genannten Dame: „Weiß schon – stand doch in der Zeitung!“ Die Burscheider Lokalzeitungen hatten informativ und fair über die Kampagne berichtet, also der Bergische Volksbote und der lokale Teil des Kölner Stadt-Anzeigers. Die vierte Gewalt hat beachtliche Kraft, auch wenn die Printmedien ja arg mit dem Wandel der Informations-Gewohnheiten zu kämpfen haben.
Wenn es jetzt ein Motto-Song sein soll, dann denke ich an „Davy’s on the road again“ von Manfred Mann. Macht jetzt deutlich mehr Spaß. Ach ja, und ich kann das erste aktive Investment in meine Kampagne vermelden: Aus Odenthal bekam ich zwei Unterstützungsschriften per Post = gegen Porto zugesandt. Danke dafür – und selbstverständlich ist dies eine sehr hilfreiche, zur tausendfachen Nachahmung empfohlene Anlageform.
Stand abends 22h: 15% = > 1/7 des Quorums.

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