Montag, 31. August 2009

30.9.2009: Die Wahlnacht
















Ab 18:00 h: Wahlparty im Ratshaus. Die Parteien sind vertreten, die Kandidaten für’s Bürgermeisteramt, die Presse und einige Bürger. Ab 19:00 h träufeln die ersten Resultate aus einzelnen Wahlkreisen ein; zuerst die Zahlen aus kleineren und auch nicht ganz repräsentativen Wahlkreisen und die Zahlen zu den Bürgermeisterwahlen häufen sich schneller an als die Zahlen für die Ratswahl. Um das Ende die Bürgermeisterwahl vorweg zu nehmen: Der Kandidat der CDU ist von Beginn an vorne. Bei der zweiten Hochrechnung überholt zwar mal kurzzeitig der Kandidat des von der CDU zu Beginn des Jahres abgespaltenen Vereins "Bürger für Burscheid", dann aber bleibt die CDU vorne, am Ende mit fast 10% Vorsprung, Dritter wird der Kandidat der SPD, vierter werde ich, mit 10,9% (was zwischenzeitlich zwischen 7 und 14% oszillierte). Okay, alle sind nun zweistellig und in zwei Wahlkreisen habe ich andere Parteien hinter mir gelassen. Bei meiner parallelen Kandidatur für den Rat (Wahlbezirk 7 = Burscheid West) teile ich mit der SPD den dritten Rang hinter CDU und BvB - immerhin - aber bis zu den ca. 40% der siegreichen CDU ist es noch ein weiter Abstand.

Summa summarum: Für einen Anfänger nicht schlecht - aber auch kein wirkliches Risiko für die powers that be. Immerhin hat meine Beteiligung wohl Interesse der Wähler geweckt und zu einer Wahlbeteiligung von ca. 53% beigetragen. Kann gut sein, dass es sonst weniger als 50% gewesen wären - demokratisch immer ein sehr debiler Wert!

Bin ich nun enttäuscht? Sagen wir’s etwas verfremdet: Schneewittchen ist liegen geblieben. Seine wackeren Freunde haben es erfolgreich abgeschirmt und wollen es behalten. Der Prinz durfte es nicht wachküssen und zieht etwas verdattert weiter.

Mein Wahlspruch war "Machen Sie mehr aus Ihrer Wahl!" Und ich habe tatsächlich mehr aus dieser Wahl gemacht als die meisten. Meine anfängliche Vorstellung war: Ab zweistellig (= 10%) bin ich glücklich , ab 40% wäre ich verwirrt. 10,9% sind dann ein sehr gut erträglicher Wert, auch angesichts des Umstandes, dass ich der erste Parteilose in Burscheid überhaupt bin, der es versucht und es bis zur Wahl gebracht hat. Und wenn man die Relation zwischen eingesetzten Mitteln und erzielten Stimmen betrachtet, werde ich wohl den Spitzenplatz behaupten. Ich werde es einmal genau zusammenrechnen und hoffe, die anderen Bewerber tun das auch.

Dann noch eine kleine Streicheleinheit; Zwei Bürger lobten ausdrücklich mein kommunalpolitisches Positionspapier vom 13.8.2009: Auf diesem Niveau sollten Befunde und Ziele formuliert sein. Ich habe geschmeichelt gedankt.
Und wie geht’s weiter? Ich muss nochmal in mich gehen. Einer Partei will und werde ich mich nicht anschließen. Silke Hamburger hatte allerdings schon gesagt, wenn ich nicht in den Rat käme, müsste ich auf jeden Fall in den Kirchenchor. Das werde ich dann wohl näher in Betracht ziehen. Nähere Bewertungen zu einzelnen Resultaten folgen.

Samstag, 29. August 2009

Die Qual der Wahl

Ein gequälter Wähler mailt mir (Anonymisierungen von mir):

Sehr geehrter Herr Voss,

ich habe mich schon eine Weile gefragt, wie ich Ihre Kandidatur
unterstützen kann, doch leider musste ich zu dem Schluss kommen, dass Sie als unabhängiger Kandidat im verklüngelten Burscheid kaum eine Chance haben werden, so muss ich wohl oder übel den AAA-Kandidaten wählen, geht es mir doch in erster Linie darum, Herrn bbb nicht zu unterstützen. CCC zu wählen, kommt für mich ebenfalls nur unter besonderen Umständen in Frage, zumal deren Kandidat von DDD und EEE mitgetragen wird, scheidet eine pro-CCC-Wahl dieses Mal erneut für mich aus.

Ihre Ideen für Burscheid gefallen mir, gerne würde ich etwas in dieser
Richtung für Burscheid bewirken, wenn es sich denn lohnt. Wenn ich etwas für Ihre Ideen tun kann, lassen Sie es mich einfach wissen.

Viel Erfolg und Alles Gute für Sonntag!

xxx


Meine Antwort darauf - und ich hoffe, ich kann das Dilemma ein wenig mindern und frischen demokratischen Mut machen:


Unterstützen, lieber Herr xxx,

können Sie meine Ideen und damit auch mich selbst nur durch Ihre Wahl. Spenden nehme ich nicht und Sie könnten meine Wahl wohl kaum einem Dritten nahelegen, wenn Sie selbst was anderes tun. Und so etwas wie eine außerparlamentarische Opposition kann man im kommunalen Bereich kaum organisieren (obwohl ago = außer-gemeinderatliche Opposition = lat. "ich handle" ein netter neuer Begriff wäre).

Klar: Keiner möchte mit seiner Stimme später bei den freakigen Verlierern enden, die ungeschickterweise den Kandidaten mit dem kleinsten %-Anteil ausgesucht hatten. Man will für seine Stimme den maximalen Erfolgswert herausholen, mindestens mit fliegenden Fahnen untergehen. Aber so funktioniert Demokratie nicht, wenn noch Leben darin sein soll. Verlorene Stimmen gibt es gar nicht - außer die gar nicht abgegebenen Stimmen. Auch eine erkleckliche Menge von Bürgern, die sagen "Nicht wacker weiter so!" ist eine wichtige message und eine Art Schuss vor den Bug, der Kurswechsel erwingen kann.

Wählen Sie einfach ohne jede Taktik und nicht über die Bande gespielt; wählen Sie nach dem oft unterschätzten Bauchgefühl: Welche Positionen / Personen erscheinen Ihnen am schlüssigsten / zuverlässigsten?

Und wenn es Sie beruhigt: Zumindest nach Erkenntnissen des SPIEGEL sind meine Chancen gar nicht mal so schlecht, s. http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,608483,00.html. Und ein paar bekennende Wähler gibt es auch schon, und zwar Ur-Burscheider.

Also: Trauen Sie sich!

MfG
K. U. Voss

Freitag, 28. August 2009

Die rote Laterne und die alte Weisheit „Traue keiner Zahl, …“

Wie entwickeln sich die kommunalen Schulden? Bei der Elefantenrunde im Megaphon waren es noch unbestritten 50 Millionen, still growing strong, mit der Aussicht auf Verzehr des kommunalen Eigenkapitals in drei Jahren. Am 27. August, bei der zusammenfassenden Vorstellung aller Kandidaten im Stadt-Anzeiger, stehen im Zusammenhang mit dem städtischen Beigeordneten und Kandidaten der CDU nun folgende Sätze: „In seiner Amtszeit gelang es der Verwaltung, die Schulden der Stadt seit 2005 kontinuierlich abzubauen – von 35 Millionen vor einigen Jahren auf zuletzt rund 26 Millionen in 2009. Diese Erfolge sind ihm wichtig, damit sich die Menschen in Burscheid auch künftig wohl fühlen können.“

Alles wird gut – oder ist es schon lange? Wie passen die beiden Zahlen bzw. Trends zusammen?

Zum Glück gibt es ein statistisches Landesamt und ein Internet, in dem das Amt die aus den Kommunen gemeldeten Zahlen für jeden greifbar dokumentiert, jeweils zum 31. Dezember des Vorjahres. In der auf der Seite mit der diesjährigen Pressemeldung von IT.NRW verlinkten Tabelle mit den Schulden aller Landesgemeinden und -gemeindeverbände findet man auf S. 7 die Verbindlichkeiten Burscheids i.H.v. 50,978 Mio. €, addiert aus den Einzelpositionen Verbindlichkeiten des Kernhaushalts (14,141 Mio.), der Technischen Werke Burscheids/TWB, einer i.J. 2003 aus der Stadt ausgegliederten Anstalt öffentlichen Rechts (30,302 Mio.) und der Kassenkredite des Kernhaushalts (6,535 Mio.).

Was in dem o.a. Artikel gemeint war (die Reduktion von 35 Mio. auf 26 Mio., also um 9 Mio.), steht mit etwas anderen Worten auch im Haushalt der Stadt, erzählt aber nur die halbe Geschichte. Es sind dies (nur) die so genannten Kommunaldarlehen, mit denen die Stadt selbst mittel- und langfristiges Geld beschafft. Sie wurden reduziert. Als die Stadt die TWB i.J. 2003 ausgegliedert hatte, hatte die Stadt die damals auf diese Verwaltungssparte entfallenden Schulden (13 Mio.) in ihrem (Kern-) Haushalt behalten. Dies steckt noch teilweise in den genannten Kommunaldarlehen. Was aber danach neu aufgewachsen ist, also das Delta zu den oben genannten Schulden der TWB von 30 Mio. in Höhe von 17 Mio., das musste sich die TWB auf dem normalen Wege auf dem Kapitalmarkt beschaffen. Es wird im Haushalt derzeit nicht ausgewiesen. Das folgt erst später, wenn im Rahmen der vollständigen Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagement die gesamten kommunalen Finanzströme in einem kommunalen Konzernhaushalt zusammengeführt werden, voraussichtlich 2010. Es geht bei den TWB-Schulden übrigens um Verpflichtungen, hinsichtlich derer die Stadt Burscheid deckungspflichtig würde, sollten die TWB zusammenbrechen. Es sind dies auch Schulden im Zusammenhang mit typischen kommunalen Pflichten, hier insbesondere Kredite zur Finanzierung der Kanalisation Sie müssen also in Entstehung und Deckung ebenso betrachtet werden wie solche des Kernhaushalts, also als Schulden aller Bürger/innen. Deswegen weist sie das statistische Landesamt auch als einen gleichrangigen Teil der Gemeindeverbindlichkeiten aus und errechnet die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung unter Einbeziehung eben auch dieser Schulden-Art. Anm.: Für Burscheid sind es in der o.a. Tabelle 2.704,26 € pro Person.

Summa summarum: Das Zitat oben ruft fälschlicherweise, vielleicht auch irrenderweise den Eindruck hervor, Burscheids Schulden seien auf dem guten Weg, kontinuierlich weiter abgebaut zu werden. Genau das Gegenteil ist der Fall. Auch an dem unschönen Trend des Eigenkapitalverzehrs, der minutiös auf S. 30 des geltenden Haushaltssicherungskonzepts der Stadt prognostiziert wird, ändert sich nichts:
Ende 2008: Eigenkapital = 38.019.775 €
Ende 2009: Eigenkapital = 29.305.625 €
Ende 2010: Eigenkapital = 16.823.942 €
Ende 2011: Eigenkapital = 9.875.637 €
Ende 2012: Eigenkapital = 5.162.422 €
Ende 2013: Eigenkapital = wahrscheinlich Null-Komma-Nix

Und wenn auch Burscheid zum 31.12.2008 nicht die rote Laterne der Kommune mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung im Kreis gehabt hat: Viel spricht dafür, dass Burscheid sie in einem unbeachteten Moment im Frühjahr 2009 von Overath die Hand gedrückt bekommen hat. Overath hatte zum Ende 2008 einen Stand von 2.708,34 € (also keine 5 € mehr als Burscheid) und hat nach seinem mehrjährigen Trend wohl weitere Schulden abgebaut.

Montag, 24. August 2009

Sur-5-al auf der alten Bahnstrecke














































Auch nach dem guten Motto "Fordern statt verwöhnen": Die Grünen hatten für Sonntag 10:00h ab Burscheid Hauptbahnhof zu einer Wanderung auf der alten Bahntrasse geladen, bis nach Wermelskirchen, mit einem Zwischenstopp in Hilgen und nochmaliger Verpflegung am Ende des Marsches. Ich hatte mich kurzfristig zur Teilnahme entschlossen. Denn die Grünen hatten ein gewisses Problem gehabt, mir ebenso, wie es die anderen Parteien getan hatten, noch vor der Bürgermeisterwahl einen Gesprächstermin einzuräumen. Und wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, dann geht halt der Prophet auch mal zum Berge. Ich war auch der einzige Bürgermeisterkandidat am Start. Selbst profilierte Befürworter des Alleenradweges wie Herr Caplan und Herr Jakob konnten leider nicht mitwandern, zu schade! Und nebenbei habe ich den Organisatoren noch helfen können, das Ganze im Bilde zu dokumentieren.
Ganz zu Anfang steht allerdings mein Mitwandern noch leicht in Zweifel: Ein Beteiligter meint etwas maulig, als bisheriger Gegner des Radweges habe ich bei dieser Wanderung doch wohl nichts zu suchen. Ich erläutere, dass ich zunächst einmal die Natur liebe und sehr gerne wandere, dass ich mich gerne über die Gegebenheiten selbst informieren möchte und auch über die Realisierungschancen diskutieren will. Das wird von allen als demokratisch fair angesehen und ich darf mit.

Herr Wolfert führt den Trupp aus 20 bis 30 Teilnehmern aller Altersklassen zuzüglich Hundebegleitung und gibt interessante historische und planerische Informationen, beginnend bei dem "neuen" und alten Burscheider Hauptbahnhof, zur Geschichte der Fa. Goetze und zum Verlauf der Trasse. Später wird er von zwei Remscheidern unterstützt, die beide das Projekt auch für Remscheid voranbringen wollen, einerseits als Angehöriger eines Vereins zur Wiederindienststellung alter Bahntrassen, andererseits als Verbesserung der touristischen Erschließung Remscheid-Lenneps durch eine Radweg-Verbindung zur Rheinschiene. Sie hatten jenseits von Burscheid-Hilgen schon den Weg bereitet und teils Breschen durch dichtes Brombeergestrüpp gehauen ("bei 38 Grad!", Respekt!). Einer von beiden erklärt seine Vision: Dass eines Tages seine Enkel sowohl wieder per Bahn als auch per Rad durchs schöne Bergische reisen können. Und dass das schön sein könnte, das kann man auf der landschaftlich wunderbaren Trasse immer wieder sehen. Zunächst aber geht’s im Gänsemarsch die erste Strecke über Brombeerranken ("Beine heben, von oben nach unten treten!") und die kleineren Kinder entscheiden sich intelligenterweise für’s Huckepack-Marschieren. Die Formation erinnert nun ein wenig an Varus im Teutoburger Wald, aber die Flanken bleiben ruhig.

Die Steigungen sind zivil - das ist ja gerade der Vorteil von Bahntrassen auch für Radwege. Es ist natürlich in hügeligem Gelände gleichzeitig ein funktionaler Nachteil: Die Haltepunkte = Bahnhöfe liegen immer ebenerdig, dazwischen muss sich die Bahnlinie vom Geländeprofil lösen, geht teils deutlich darunter, teils deutlich darüber entlang, auf manchmal sehr hoch aufgeschütteten Dämmen. Anschluss an das normale Wegenetz ist die große Ausnahme, meist wird auch Abstand zu Siedlungen gewahrt. Denn das wollte schon damals niemand, Lärm und Dampf und Rußsprenkel auf der Wäsche. Bei Ausbau zu einem Radweg werden zwangsläufig erhebliche bauliche Installationen fällig, z.B. Brüstungen und Geländer (die eine standfeste Bahn nicht brauchte). Teils müssen auch Brückenbauwerke der Bahntrasse wieder erstellt werden. Teilweise müssen entweder neue Brücken über die Bahntrasse gebaut werden, wo der derzeit zur Vereinfachung und Kostenersparnis Dämme aufgeschüttet worden sind - z.B. am Burscheider Hallenbad und wohl künftig in Hilgen an der baufälligen Brücke nach Ösinghausen. Oder es müssten dort kleine Tunnel angelegt werden, was jedenfalls im letzteren Falle kostengünstiger sein soll. Klar ist allerdings schnell, dass der Radweg nicht beleuchtet werden könnte und im Winter auch nicht geräumt würde. Damit wäre der Nutzwert deutlich eingeschränkt und es könnte zur Verbindung der Ortsteile Burscheid und Hilgen deutlich funktionaler sein, Radwege in Verbindung mit bestehenden und beleuchteten / belebten Straßen auszubauen.

Gesamteindruck:
Die Wanderung war eine sehr gelungene gemeinschaftliche Aktion und hatte auch zusammenschweißenden Abenteuer-Charakter. Sie war gut vorbereitet und auch logistisch hervorragend organisiert. Sie bot gute Gelegenheit, sich - und die heimatliche Landschaft - kennen zu lernen. Am verblüffendsten war, dass man völlig überrascht beim Betreten "zivilisierter" Straßen und Wege einen "reset" durchführte und feststellte, wo man denn eigentlich angekommen war. So haben wir ähnlich wie Kolumbus Westinder entdeckt - sie stellten sich dann als Hilgener heraus. Und man findet, wie viel normalerweise Verborgenes und Schönes in unserer Landschaft steckt.

Das hat aus Sicht der Nachhaltigkeit allerdings auch einen Wermutstropfen: Wir trampeln - und ähnlich täten es künftige Fußgänger und Fahrradfahrer tagaus / tagein - durch ansonsten weitgehend unbetretene Natur. Jedenfalls die Bahntrasse selbst hat viel von der Unberührtheit der ehemaligen deutsch-deutschen Demarkationslinie. Und einmal geht's durch ein Naturschutzgebiet. Die heutige Ruhe wäre künftig dahin. Zum Nutzen des Menschen.

Wir haben sogar etwas gesungen - was viel zu wenige wagen. Paradiesisch geradezu mutetekurz vor Wermelskirchen eine Hochwiese an, mit einem Wasserturm darauf. Es sieht dort gespuckt aus wie im Schwarzwald oder im Allgäu, incl. sehr ansehnlichen Kühen. Das allerdings würden die Radler nicht sehen, sie führen hier ca. 15 tiefer entlang, unter einer sehr steilen und abschattenden Böschung.

Zur Realisierbarkeit des Radweges bleibe ich auch und gerade nach der Wanderung skeptisch: Die Funktionalität erscheint mir nach der Trassenführung eher gering. Remscheids Vorstellung einer Tourismus-fördernden Anbindung an die Rheinschiene ist ohnehin sehr ambitioniert (die Distanz ist so groß, dass in der Rheinebene nur wenige freudig abbiegen werden, und wenn, müssen es nicht die erhofften besonders zahlungskräftigen Kunden sein) und wegen der Weigerung Leverkusens wohl gar nicht zu verwirklichen. Alternative Planungen (z.B. über Bergisch Gladbach) machen m.E. noch weniger Sinn. Finanziell hat Remscheid eher noch größere Probleme als Burscheid (Pro-Kopf-Verschuldung über 3.000 €; Eigenkapitalverbrauch wohl bereits 2011).

Und die Umgestaltung zum Radweg hat dem Anschein nach eher mehr Tücken und Kosten als weniger. Unklarheit besteht auch nach wie vor, ob die Trasse schon von der Bahn entwidmet worden ist, was Voraussetzung einer neuen Nutzung wäre. Um es zusammen zu fassen: Der Radweg hat zweifellos Charme, aber zumindest derzeit ist eine Umsetzung nicht realistisch. Es besteht m.E. aber auch kein Anlass zur Panik wie beim Sommerschlussverkauf nach dem Motto: "Wir müssen genau jetzt zuschlagen, sonst wird die schöne Trasse unwiederbringlich zerstückelt!"

P.S.

Habe heute Frau Hentschel eine CD mit meinen Fotos gebracht. Sie hat mit mir geschimpft, weil ich am Sonntag an zwei Mitwandernde ein Positionspapier zur Bürgermeisterwahl gegeben hatte. Okay, ich sehe ein, das ist vielleicht etwas forsch, da ja die Grünen eingeladen hatten, nicht ich. Ich hatte mir meinerseits ehrlich gesagt da keine großen Gedanken drum gemacht, da ich ja nicht mit einem grünen Kandidaten konkurriere und politische Debatte ja prinzipiell nicht so falsch ist. Aber ich seh' auch den Punkt der Grünen und werde es nicht wieder tun, falls ich je Gelegenheit dazu habe. Also: Ich bitte um Entschuldigung und Nachsicht und hoffe, wenigstens meine Fotos sind etwas hilfreich und stimmen wieder versöhnlich.

Andererseits verdient noch etwas Erwähnung: Meine Übereinstimmungen mit den Grünen in Bund und Land sind nicht gering: Ich bin und war nie für Kernkraft - ganz im Gegenteil, ich halte diese Technologie für nicht verantwortbar. Ich halte dafür sehr viel von nachhaltigen Technologien und Ressourceneffizienz (habe auch das aktuelle Forschungsprogramm des BMBF für Nachhaltigkeit koordiniert). Und nicht zuletzt: Ich bin sehr basisdemokratisch positioniert, trete auch deswegen als unabhängiger Kandidat an, und zwar für die Bürgermeisterfunktion und für den Stadtrat. Alles das fehlt bei anderen Kandidaten. Eigentlich müsste es dann eine gewisse Gedanken- und Interessengemeinschaft zwischen den Grünen und mir geben. Aber vielleicht ist es wie bei den Religionen: Was sich am nächsten ist, hat das größte Bedürfnis der Abgrenzung.

Brunnenfest und Strafmaß






Der Andrang beim Brunnenfest ist nochmal stärker als bei der Premiere 2008. Und die begrenzte Fläche verschafft jedem ein Bad in der Menge, auch Bürgermeistern in spe. Die Stimmung ist entsprechend gehoben und die Band gut aufgelegt. Der Brunnen selbst steht backstage, bekommt aber noch genug Stimmung ab.



Es fallen auch ein paar gute Gespräche an, ein sehr langes dreht sich um Gewalt von jungen Migranten. Die müsste man doch, wenn sie auffällig / gewalttätig geworden sind, direkt vor die (deutsche) Türe setzen. Wenn man versuchen würde, als Deutscher in deren Heimatland das gleiche anzustellen, da würde man aber was erleben. Viel zu lasch alles hier! Meine Meinung dazu: Zuerst einmal sehe ich im Strafrecht grundsätzlich keinen Unterschied zwischen Menschen, die dauerhaft hier leben und keine deutsche Staatsangehörigkeit haben und solchen, die halt Deutsche sind. Die Deutschen kann man nicht heraussetzen - dann die anderen auch nicht. Wenn’s in anderen Ländern nicht rechtsstaatlich zugeht, dann dürfen wir uns das nicht zum Vorbild nehmen, auch nicht nach dem Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn!", oder?
Anders mag es bei jemandem sein, der hier nur durchreist oder "zu Gast" ist. "Gastarbeiter" ist aber insoweit irreführend. Wir haben diese Menschen zum Arbeiten hierher gerufen. Dass sie dann hier Familien begründen, ist nur natürlich. Von den Immigranten sind praktisch alle unauffällig ("Ja, richtig, ich habe viele türkische Arbeitskollegen, die sind voll in Ordnung!"); sie sind sogar besonders bürgerlich und friedlich. Bis eben auf die testosterongeschwängerten jungen Männer - das ist bei "unseren" nicht viel anders -, die Angst haben, nicht den nötigen Respekt zu bekommen, kein attraktives Weibchen und keine sichere Höhle.
Strafrecht und Strafvollzug müssen sich immer auf einer mittleren Position halten, wenn wir klug sind. Zu lasch bringt keine korrigierende Reaktion (für den Einzelnen und für mögliche Nachahmer; der Fachbegriff der Strafrechtler dafür ist Spezial- und Generalprävention). Aber es bringt ebenso wenig, die Daumenschrauben immer weiter anzuziehen: Was dann später aus den Gefängnissen auf die Menschheit losgelassen wird, ist noch viel unberechenbarer und für die Gesellschaft gefährlicher. Die beste Prävention ist eine fördernde Umgebung in einer frühen Phase, allerdings keine Kuschel-Strategie. Menschen sind darauf angelegt, fortlaufend Bewährungen zu suchen. Finden sie sie nicht, werden sie oft in aggressive Langeweile verfallen - und ausrasten, gerade wenn sie sich noch entwickeln. Das Prinzip heißt "Fordern statt verwöhnen" und so heißt auch ein geniales pädagogisches Werk des Autorenteams Hoymar / Ditfurth. Also: Geben wir den jungen Leuten attraktive Entwicklungsmöglichkeiten, dann können wir destruktive Energien zu unserem Nutzen umpolen. Schon Heraklit wusste: Junge Menschen sind keine Gefäße, die abgefüllt werden wollen, sondern Fackeln, die entzündet werden wollen. Etwas moderner heißt der Spruch, diesmal aus der Sicht der jungen Menschen, aber für uns unmittelbar nachvollziehbar: "I love to learn, but I hate to be trained!"
Wichtig sind die frühen Angebote - und da sind auch wir gefordert, mit maximaler Kreativität. Ich könnte mir einen Dichterwettbewerb für junge unentdeckte Talente vorstellen - oder das Suchen und Auszeichnen des besten jungen Komponisten. Meine Frau hat vor einiger Zeit einen jungen Marokkaner unterrichtet. Der Kleine machte sich tiefschürfende Gedanken über den Hintergrund des Stadtnamens "Königswinter" und konnte sich lebhafte Szenarien dazu vorstellen. Solche Talente gibt’s zuhauf - und wenn wir sie nicht entdecken und würdigen, so können sie auf Abwege geraten.

Freitag, 21. August 2009

Elefantenrunde in der Namib

Der große Tag von Jugend und Demokratie in Burscheid und alle sind gekommen. Am 20.8.2009 ist die Elefantenrunde im Jugendzentrum Megaphon, einer ehemaligen Burscheider Dorfschule angesagt. Sie war breit vorbereitet durch einer geniale Serie von Reportagen im Anzeigenblatt (Anzeigenblatt!!!) Wochenpost. Dort waren die vier Bürgermeister-Kandidaten jeweils einzeln in Portraits / Zielen vorgestellt worden, jeweils nochmals gefolgt von Abenden am “heißen Draht” mit Anrufen der Bürger/innen und nochmaliger Rückkopplung in folgenden Wochenpost-Ausgaben. Nach meinen eigenartigen Erfahrungen mit dem WDR (siehe zwei frühere Posts) sehe ich das Wohnzimmer der Demokratie heute nicht mehr ganz klar in den öffentlich-rechtlichen Medien. Sondern bei intelligenten Initiativen, die die Antwortbereitschaft (neudeutsch: Responsivität) des politischen Systems fördern, unabhängig von der Finanzierungs- und Organisationsform. Z.B. auch ganz unerwartet in einem Anzeigenblatt. Die Kooperation mit dem Jugendzentrum trägt heute Früchte: So viele wie diesmal haben sich noch nie zu einem “Talk vor Mitternacht” zusammengerottet - und es gibt eine lange Tradition attraktiver und auch gut besuchter Podiumsdiskussionen mit richtigen Polit-Elefanten aus dem Bundes-Dschungel.

Ist auch recht heiß und schwül unter’m Dach der alten Schule. Die Bürger/innen und vier Kandidaten (keine -innen) feuert das aber nur weiter an. Timm Gatter führt kurz ein, dann kommen unsere statements, es folgen Diskussionen zu den inzwischen erfreulicherweise kontroverser gewordenen Themen der noch vor ein paar Monaten fast sozialistisch eintönigen Kommunal-Debatte, es kommen Fragen und Stellungnahmen der Bürger/innen - und Applaus, mal breiter, mal aus den Fan-Blocks. Die Stimmung ist knapp vor hitzig, aber gut.

Zu einzelnen Themen:

Übergreifend: Finanzen / Haushalt
Hinsichtlich der Lage teilen alle meine - leider un-sonnige - Einschätzung: Geht’s so weiter, ist in drei Jahren das kommunale Eigenkapital verbraucht, es drohen verschärfte Eingriffe der Aufsicht, u.a. bei den freiwilligen Leistungen für das Jugendzentrum, für das Bad und für die Stadtbücherei. Zumindest ein Kandidat (BfB) stimmte zu, dass die Entwicklung des Burscheider Haushalte auf Sicht sogar die Selbstständigkeit der Stadt gefährdet. Zur Therapie: Ich meine: Verzicht auf das nicht zwingend Notwendige (Radweg) bzw. derzeit ohnehin rechtlich nicht Umsetzbare (gymnasiale Oberstufe), Prüfen und Nutzen aller Chancen (Raststätten). Und: Im Bundestagswahlkampf die Schlechterstellung der Kommunen durch die unzuverlässige Gewerbesteuer klar auf’s Tapet bringen (Die Gemeinden haben die Bürger, nicht der Bund!).

RastanlagenIch stimme für eine nüchterne Abwägung von Lasten und Nutzen (wachsendes Gegrummel) und mache auf etwas aufmerksam, was zunächst Erstaunen hervorruft - weil es sonst kaum jemand sagt: Die Rastanlagen sind heute zwingend mit einem vollständigen Lärmschutzprogramm gekoppelt. Will sagen: Aller Voraussicht nach gibt’s danach nicht mehr Autobahnlärm in Burscheid, sondern weniger, und insbesondere bei den unmittelbaren Autobahn-Anrainern. Daneben sollte man Chancen beim Steueraufkommen prüfen (auf Rastanlagen gibt es 24 Stunden Wertschöpfung pro Tag), bei Arbeitsplätzen und sogar bei der Vergabe der Gastronomie an örtliche Mitbieter bzw. Konsortien. Dann kann man sich auch hervorragend eine Themenraststätte mit Stadt-Marketing-Anteil (“Montana”) denken. Die anderen Kandidaten lehnen das wegen schon eingehend geprüfter Vorteile und überwiegender Nachteile unisono ab, etwas offener dabei Herr Caplan, für den noch nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen. Warnend wird auch auf die Gefahr wachsender Kriminalität hingewiesen und der Moderator sagt etwas scherzhaft, auch das Rotlicht-Gewerbe habe sich schon interessiert umgeschaut. Angst vor'm bösen Wolf?

[Nachtrag 22.8.2009: Ein Bürger sagte mir gestern, er habe eine 15 Jahre alte Stadtkarte gefunden; auf dieser sei genau an dem nun - wieder - in Rede stehenden Ort eine Rastanlage in Planung eingetragen. Wie wahnsinnig schnell doch Zeit und Erinnerung vergehen! Ich werde ein Bild davon hier ablegen.

Und hier ist sie nun mit dem betreffenden Ausschnitt:

Bemerkenswert: Auf dieser Karte ("Burscheid", 3. Auflage des Kommunal-Verlages Hans Tacken in Essen, erschienen im August 1993) ist in der Tat schon eine Rastanlage in Planung zwischen den Burscheider Ortsteilen Geilenbach und Oberlandscheid verzeichnet. In der aktuellen 6. Auflage keine Spur davon. Eine Art "Zurück in die Zukunft"!]

RadwegWeitgehend einhellige Auffassung der anderen Kadidaten, dass der Radweg realisiert werden soll, auch wegen der zu erwartenden Belebung des Tourismus. Ich äußere meine Zweifel zum Nutzwert für die Bürger/innen und damit zum Sinn der Ausgaben bei sehr beschränkt verfügbaren Ressourcen: Beleuchtung kann und will die Stadt aus Kostengründen nicht investieren, ebenso wenig ist eine Räumung/Pflege möglich. Darum ist der Weg ab Dämmerung und nach Schneefall niemandem zu empfehlen, müsste möglicherweise bei auch nur teilweiser Unbefahrbarkeit aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht insgesamt gesperrt werden. Die anderen sehen darin keinen Hinderungsgrund, heben auch den Bindeeffekt des Radwegs zwischen Burscheid und Hilgen hervor (“Achse des Guten” könnte man sagen) und die unwiederbringliche Gelegenheit, kostengünstig an die Parzellen der Bahntrasse zu kommen, wo gfs. nach Ende der Bindefrist auch eine Straße gebaut werden könnte. Ich kenne das Gefühl von Modelleisenbahnmärkten, wo einen beim Anblick einer schönen Lokomotive das unstillbare Verlangen überkommt, das schnöde Geld in der Brieftassche gegen gerade dieses Seligkeitsding umzutauschen. Der Unterschied zu der gängigen kommunalpolitischen Haptik: Man hat das Geld und es ist das eigene.

Ich spreche mich daher gegen die Radwegplanung aus und erinnere daran, dass Burscheid andere dringende Verkehrsprobleme hat: Z.B. fehlende Kreisverkehre wie der, der nun für die B 232 Höhe Industriestraße vorgeschlagen ist - wo neulich die zulässige Geschwindigkeit durch Entfernen einer Tempobegrenzung von 50 auf 70 km/h erhöht worden war (!). Diese Kreisverkehre sind allerdings aus anderen Töpfen zu finanzieren, das ist richtig.

Gymnasium
Hier besteht weitgehende Einigkeit: Die Rahmenbedingungen lassen es derzeit nicht zu und selbst die Umlage, die Burscheid für die aushäusige Beschulung zahlt, kann nichts Eigenes finanzieren. Ich schlage aber ein gemeinsames Ziel vor: Unabhängig vom konkreten Schulort allen Burscheider Kindern einen möglichst guten Abschluss zu sichern, und zwar durch Engagement von vielen Bürger/inne/n im Rahmen von Patenprojekten, die die Stadt moderieren könnte.

Hilgen
Hier kreist die Debatte um zwei Punkte: Soll die Brücke vor dem Hilgener Ortskern wie bisher geplant abgesenkt werden oder soll sie - so wohl die Mehrheit der anderen Kandidaten - auf dem bisherigen Niveau bleiben, um das Radwegprojekt kreuzungsfrei verwirklichen zu können. Die von der SPD detaillierte Planung sieht dazu allerdings noch die Erweiterung der Brücke vor, um gleichzeitig das Problem der Bushaltestelle zu lösen. Ich gebe zu, von den Einzelheiten wenig zu verstehen, rate aber davon ab, die Planung auf den Radweg zu optimieren. Auch denke ich, die Absenkung der B 51 / Brücke würde den besseren Anschluss des neu zu gestaltenden Bahnhofsgeländes erlauben, das derzeit sehr trostlose Ecken hat (alter Biergarten). Der zweite Punkt: Aus dem Publikum wird dringend gefordert, eine nochmalige Belastung der Hilgener Ladengeschäfte durch eine neue große Straßenbaumaßnahme zu verhindern - und die SPD hebt dies aus zusätzlichen Punkt für den Erhalt der Brücke hervor.

Die Vergangenheit des unabhängigen Kandidaten
Danach fragt eine Bürgerin: Was ich denn in den vergangenen 20 Jahren für Burscheid getan hätte? Das, erläutere ich, was viele Bürger an eigenen Initiativen ohne besondere öffentliche Aufmerksamkeit unternehmen und was sich mit meinem leider sehr entfernten Arbeitsplatz in Bonn vereinbaren ließ: Wir haben und für ein erweitertes Kindergartenangebot eingesetzt, das - in Form der späteren Elterninitiativkindergärten - später sogar realisiert wurde, in unserem Fall aber zu spät kam. Wir haben wie schon andere Eltern eine Tempo-30-Zone für Kuckenberg gefordert; diese ist dann auch eingerichtet worden, nicht aber die physischen Tempobeschränkungen gegen Raser, die wir auch angeregt hatten. Anm.: Darüber hinaus habe ich 1993 eine lokale Podiumsdiskussion zur Außen- und Sicherheitspolitik organisiert - daran wollte ich 2008 anknüpfen, nur leider ohne Reaktion der Ratsparteien. Auch das hat mich zur diesjährigen Kandidatur beflügelt. Übrigens: In die Kommunalwahl 2009 habe ich mehr geistige und körperliche Arbeit und sicher auch mehr Geld investiert als die allermeisten Partei-gebundenen Burscheider. Und das obwohl - wie der Moderator unerwartet erwähnt - der Posten mir im Gegensatz zur Konkurrenz keinen materiellen Zugewinn verspricht.

Schluss und Kurzbewertung
Nach zwei Stunden und viel in Schweiß umgesetztem Mineralwasser beschließt der Moderator die Debatte und empfiehlt für verbleibende Fragen (z.B. Denkmalschutz, Abriss typischer Bergischer Bausubstanz!) die vielversprechenden elektronischen Angebote an, lobt dabei auch diesen Blog. Mein Blog dankt!

Alles in allem: Ein sehr anregender Abend und ein Format, was offenbar auch viele junge Leute gut einbeziehen kann. Am Ende noch zweifache Verstärkung: Zum einen bedanken sich zwei Bürgerinnen sehr herzlich für die klaren Ansagen zu Themen, die bei den übrigen Bewerbern entweder verwaschen oder völlig monochrom herübergekommen waren. Und kurz vor dem Abfahren erkundigen sich ein paar junge Leute noch voller Verblüffung, wie man denn überhaupt als Unabhängiger kandidieren könne (“So ganz ohne Partei? Ehrlich?”). Sie gehören einer Partei-Jugendorganisation an, hatten vorher von meiner Bewerbung noch überhaupt nichts gehört (wo bitte bleibt der politische Bildungsauftrag nach Grundgesetz?), waren erbost über den Vandalismus an meinen Micro-Plakaten (darüber poste ich noch mal) und fanden meine Darstellung echt scharf, deutlich schärfer als das eigene Angebot. Das tut mal gut.

Dies auch mit freundlichen Grüßen an Herrn P. aus W.

Dienstag, 18. August 2009

Schreck am Morgen. Und zweimal Schönheit zum Lernen.

Montags fahre ich immer sehr früh nach Bonn (6:12 h ab Opladen). Sonst würde ich mir im dann überfüllten Zug mindestens bis Deutz die Beine in den Bauch stehen.

Drum stieg ich gestern in Bonn, Max-Löbner-Straße leicht schlafwandelnd aus der Straßenbahn. 30 Sekunden später fehlt mir meine Notebook-Tasche.

Oder: dann fällt sie mir wieder ein. Okay - in der Ruhe liegt die Kraft. Habe im Internet schnell die Service-Seite meines Verkehrsverbundes Rhein-Sieg gefunden. Es war zwar noch keiner im Laden, aber man konnte sein Problem unmittelbar eingeben und abschicken. Der Kunde dankt für so viel Mitdenken! Das eigentliche Problem begegnet Ihnen, wenn Sie nicht ausschließen können, ihr Hab und Gut vielleicht auch in der Obhut der Deutschen Bahn gelassen zu haben. Wahnsinn: Mehrere Versuche, ein passendes Fundbüro per Internet zu finden, ohne irgendein greifbares Ergebnis. Nun habe ich zu Weinnachten das besondere Fan-Buch “Senk ju vor träwelling. Wie Sie mit der Bahn fahren und trotzdem ankommen” gelesen. Spätestens seitdem achte ich immer peinlichst auf einen Sicherheitsabstand von Minimum 100 m zum nächsten Reisecenter der Deutschen Bahn.

Einschub: Die Distanz zum Reisecenter galt bis auf einen besonders senkens-werten Montag, an dem ich mein Jobticket zu Hause gelassen hatte. Um 6:30 h hat mich dann ein besonders barscher Kontrolleur gestellt und geweckt [nach 7:30h trauen sie sich nicht mehr heraus, kämen aber auch gar nicht durch die hochverdichteten Kunden]. In der Folge durfte ich zur Vermeidung eines erhöhten Beförderungsentgeltes v. 40€ demütigst im Reisecenter meine langjährige Kundeneigenschaft nachweisen und dafür - müsste alles eigentlich datentechnisch bekannt gewesen sein - dann noch 7€ ergänzende Gebühr oder "leicht erhöhtes Fahrtentgelt" zahlen.
[Hochaktueller Nachtrag und Warnung: Vor wenigen Tagen bekam ich von einem Inkasso-Büro im Auftrag der Bahn eine Mahnung mit nunmehriger Gesamtforderung i.H.v. 92,11€. Ich habe am folgenden Morgen ergebnislos in dem Reisecenter, das meine 7€ entgegen genommen hatte, vorgesprochen. Dort allerdings hatte ich noch nicht den - glücklicherweise im Büro sicher abgelegten - Einzahlungsschein bei mir. Ich wusste auch nicht zu 100%, ob ich ihn denn ordentlich veraktet hatte. Das sehr mürrische Reisecenter beschied mich, dass man allein mit meinem Jobticket den Zahlungs-Vorgang in den IT-Systemen der Bahn nicht nachverfolgen könnte. "Das geht nur mit dem Zahlschein. Da steht aber doch ausdrücklich drauf, dass man ihn 6 Monate aufbewahren muss!" Zum Glück, wie gesagt und das ist jedem dringendst anzuraten, habe ich die Quittung ja noch gefunden. Ich reagiere nun auf die recht einschüchternd formulierte Mahnung ("... erhalten Sie eine Forderungsauflistung, da uns Ihre Gläubigerin mit dem Einzug ihrer überfälligen Forderung beauftragt hat. ... Ihnen entstehen keine weiteren Kosten, wenn der obige Gesamtbetrag bis zum 27.8.2009 bei uns eingegangen ist.") nicht, mit Bedacht nicht. Nein, ich werde meine Quittung erst bei Eingang eines Mahnbescheides präsentieren, mit sicher noch vielen attraktiven Eskalationsschritten dazwischen. Mein Sohn ist neulich über drei Monate gemahnt worden, bis die Bahn einsehen musste, dass er alles völlig richtig gemacht hatte. Ich freu' mich schon. Vielleicht organisiert sich die Bahn dann irgenwann mal kundenfreundlich. Verdient hätten wir das! ]

Zurück zur verlorenen Notebooktasche!
Ich fürchte schon gerade: Nach 15 Jahren muss ich wieder meine Zeltausrüstung vom Speicher hole und beim Discounter haltbare Lebensmittel für drei Tage bunkern. Für die Zeit vor und im DB-Reisecenter. Da aber klingelt das Telefon und eine freundliche Seele teilt mit, sie hätte meinen kostbaren Büggel in der Straßenbahn gefunden und gleich sichergestellt, in Tannenbusch. Da bin ich sofort hin und habe nun alles wohlbehalten zurück. Finderlohn will sie keinen, ich habe ihn ihr aber schließlich (“für die Kaffeekasse”) aufnötigen können. So viel Schönheit!

Und ein Gefühl wie nach Champagner: Sie haben zwar nüchtern betrachtet (nur) den Zustand wie vor dem Verlust wieder hergestellt; aber die Erleichterung trägt Sie noch positiv über den ganzen Tag. Irgendwie müsste man das systematisch ausbauen können. Erinnert mich auch an ein Zigaretten-Plakat, das ich vor vielen Jahren allerdings ziemlich bescheuert fand: "No risk, no fun!" Steckt aber wirklich ein wenig im Menschen - merkt man auch bei der Bürgermeisterwahl. Der Zigaretten-Hersteller hatte es nur schandhaft ausgenutzt.

Die zweite Schönheit liegt auf dem Weg dazwischen. Von der Haltestelle Tannenbusch-Mitte war es nicht ganz einfach, zu der Finderin zu finden; meine Wegskizze war auch in der Eile etwas konfus geraten. Es hilft mir eine eher unscheinbare Frau mittleren Alters mit Kopftuch und einem etwas missgestimmt dreinschauenden, dunkeläugigen Kind an der Hand. Auf meine Frage antwortet sie in einem so wunderbar modulierten Deutsch, wie man es sich bei Nachrichtensprechern oder Schauspielern nicht schöner vorstellen kann. Ihre Information ist auch präzise und hilfreich. Meinen Dank und die Bemerkung, sie spreche besser Deutsch als die meisten Deutschen, quittiert sie mit einem Lächeln und dankt zurück. Die faszinierende Sprecherin mit Kopftuch erinnert mich wieder an einen sehr lesenswerten wissenschaftlichen Artikel aus der APuZ, der Beilage “Aus Politik und Zeitgeschichte” zum offiziellen Organ des Bundestags, dem “Parlament” (Birgit Rommelspacher “Zur Emanzipation ‘der’ muslimischen Frau, ApuZ 2009, Nr. 5 http://www.bpb.de/publikationen/DP9013.html). Eine Kernaussage dort ist: “Tatsächlich sind Muslima in Deutschland, die sich für ein Kopftuch entscheiden, in der Mehrzahl junge selbstbewusste Frauen”, unter Bezug übrigens auf eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es ist gerade die verschleierte bzw. Kopftuch tragende Gruppe der muslimischen Frauen in Deutschland, die überdurchschnittlich lern- und aufstiegsorientiert ist und die es manchmal nur zu genau dieser Kondition sein kann. Oder: unser Versuch, den muslimischen Frauen mit unseren Kleidungsvorschriften zu helfen, kann ungewollt und missverstehend ins Leere gehen. Wer hätte das gedacht?

Zu den selbstbewussten jungen Frauen gehört übrigens auch Fereshta Ludin. Sie wurde 1972 in Afghanistan (!) geboren und1995 in Deutschland eingebürgert. Fereshta Ludin hat vor dem Bundesverfassungsgericht i.J. 2003 das Urteil erstritten, dass es für jedes Kopftuch-Verbot eine gesetzliche Grundlage braucht (www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20030924_2bvr143602.htm). Die entschlossene Frau Ludin zähle ich zu den großen Bürgerrechtlerinnen. Nur: Es half ihr am Ende nicht viel. Baden-Württemberg erließ ein solches Gesetz und Frau Ludin musste auf eine private Schule ausweichen. Anm.: Die Geschichte von Frau Ludin lässt einen auch etwas besser verstehen, warum die gut gemeinten Kriegsziele in Afghanistan so schlecht zu erreichen sind: Vermutlich haben wir nicht das rechte Verständnis und zu wenig Toleranz für die historisch gewachsenen Inhalte und für die “Beratungsresistenz” anderer zeitgenössischer Kulturen.

Die Frau, die mir geholfen hat, könnte mit Sicherheit viele Schüler/innen voranbringen, deutsche wie nichtdeutsche. Aber um staatliche Lehrerin zu sein, müsste sie zuerst einmal ihr Kopftuch abgeben, in NRW seit Mitte 2007.

Donnerstag, 13. August 2009

Die Parteien bleiben immer in der ersten Reihe

Nachtrag 18:30 h zur Reaktion des WDR, genauer gesagt telefonische Stellungnahme des WDR nach mehrfacher Nachfrage ohne dessen Zurückrufen, und das macht mich jetzt nicht wirklich ruhiger:

Zur Erinnerung, siehe auch den Post dazu von heute morgen:

Bei der gestrigen Reportage im Rahmen von WDR Lokalzeit waren die Partei-Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters in Burscheid ausführlich vorgestellt worden und mit eigenen statements zu Wort gekommen. Vom vierten, unabhängigen Kandidaten, also von mir, kam nur ein kurzes Photo und die Bemerkung, der wolle sich um verstärkte Einbindung der Bürger bemühen. Kommunalpolitische Streitpunkte: Fehlanzeige, alles im Einklang, auch zu Radweg, Rastanlagen etc., nur etwas Gerangel um die Nachfolge. Bewertung: Das hielt und halte ich für keine ausgewogene und sachbezogene Berichterstattung nach dem Standard eines öffentlich-rechtlichen Mediums, sondern schon für parteinehmend.

Also, für den WDR ist alles voll normal gelaufen: Für den Sender bedeute das Aufnehmen von Reportagen vor Ort einen doch erheblichen Aufwand und der Sendeplatz sei eng begrenzt (Tränen der Rührung!; Werbung einspielen ist natürlich netter und lukrativer [siehe dazu unten Richtigstellung v. 20.8.2009]). Darum müsse man sich auf Relevantes beschränken und müsse Kandidaten mit nach dortiger Einschätzung eher geringen Chancen nach hinten stellen. Das stehe im Einklang mit der Verfassungsrechtsprechung zur Gleichbehandlung in Wahlzeiten. In anderen Kommunen gebe es teilweise acht Kandidaten; da könne man auch nur die Hälfte herüberbringen.

Auch mein Einwand, für einen von vieren, der eine verantwortungsvolle Alternative zu dem Friede-Freude-Eierkuchen-Blick der Reportage anbiete, sie das doch etwas harsch und man könne die Zeit doch kollegial teilen, half nichts: Ja, das mit der wichtigen Alternative, das meinte halt ich, sagt der WDR. Und kommt zunächst etwas schmeichelnd auf meinen / diesen Wahlblog zu sprechen: Erstaunlich innovativ und informativ sei er, dieser Blog. Viel besser als das, was der WDR z.B. bei der CDU vorgefunden habe. Aber dann kommt auch gleich der surrende Schwertstreich: Man sehe doch an den wenigen Abo's und den fehlenden Diskussionsbeiträgen meines Blogs, dass er für Burscheid gar keine Rolle spiele. Auch meine sofortige Reprise, wenn doch der Blog objektiv gut sei und nur zu wenig traffic habe, dann könne der WDR doch so ein Medium mal positiv hervorheben (alter pädagogischer Grundsatz: "Gutes Schülerverhalten durch Lob verstärken und multiplizieren!"). Aber da ist der WDR doch zu hartgesotten, hatte wohl auch schon zu viele Gespräche mit frustrierten Kandidaten geführt. Ne, das geht jetzt aber nicht!

Eines aber will man beim WDR dann noch tun und dann muss die liebe Seele Ruhe haben: Man will nach Urlaubsrückkehr aller Beteiligten noch mal nachforschen, warum bloß mir ein Besuch des Kameramannes mehrfach angekündigt worden ist. Der dann doch nicht kam, sondern mit Herrn Caplan Formel-1 gefahren ist ("Pole-Position für Caplan"), Herrn Jakob im grünen Tann durch's Geäst gefilmt hat und Herrn Baggeler wie von ungefähr beim Spaziergang begegnete. Der auch die ungetrübt heitere und heile Welt der Partei-Kandidaten arglos eingefangen und vermittelt hat.

Ich hab's nicht nachgemessen - aber wie mir schien, sahen und hörten wir die drei Partei-Kandidaten mit jeweils abgestuften Sende- oder Sprechsekunden, was wie schon die Reihenfolge wohl den für den WDR wahrscheinlichsten Ausgang des Rennens ausdrücken sollte. Ist schon seltsam, wie ein modernes öffentliches Medium den Wahlausgang wie in virtuellen primaries zu simulieren versucht und damit etwas im Grunde sehr Vordemokratisches tut: Das Bewahren des Bewährten. Vom Sendungsbewusstsein zum Königsmacher. Sachdebatte unnötig. Anti-change oder "No, we can't."

Etwas sadistisch wäre - und ich hoffe, der WDR sieht einfühlsam davon ab - wenn er mich wie bisher angekündigt am Wahlabend fragen würde, wie denn mein wertes Befinden sei. Sollte ich verloren haben. Sonst könnte ich mich einer gewissen Freude sicher nicht erwehren. Schau'n wir mal.

Ergänzung und Richtigstellung nach Eingang einer schriftlichen Stellungnahme des WDR v. 14.8.2009:

Zunächst: Der WDR weist darauf hin, dass im WDR-Fernsehen keine Werbung ausgestrahlt wird. Pardon, das hatte ich wohl nicht die rechte Übersicht. Ich hatte das WDR-Fernsehen (beim Radio mag es nochmal anders sein) gedanklich in einen Topf gesteckt mit der "Mutter" ARD, wo nach meiner Erinnerung in der Tat heftig gegen Geld geworben wird.

Zu meiner Bitte um faire Berücksichtigung:
Nein, das geht nicht. Es werde über alle Bewerber berichtet, aber in unterschiedlichem Umfang: die aussichtsreichsten im Bewegtbild und einem knappen Statement zur persönlichen Motivation, die weniger aussichtsreichen jeweils mit Foto und Begleittext. Das Verfahren sei festgegt für ganz NRW und werde unabhängig von der Gemeindegröße überall gleich angewandt. Die Kommunalwahlkampf nähme einen vergleichbar großen Raum im WDR-Programm ein, aber auch dieser Platz sei begrenzt. Mir sei zwar einmal die Beteiligung im Rahmen der Berichterstattung angekündigt worden, aber durch eine freie Mitarbeiterin, die von diesen Restriktionen - die auch erst später generell festgelegt worden seien - nichts gewusst habe.

Dann hofft der WDR noch auf Verständnis zu treffen. Tut er aber nicht. Ich habe in meiner eingehend begründeten Antwort meine Bitte aufrechterhalten und angekündigt, die Verfahrensweise von den zuständigen Kontrollinstanzen prüfen zu lassen - zumal ja in Folge der WDR-internen primaries nicht nur in Burscheid potenziell Wahl-relevante Informationen ausgeblendet wurden, sondern landesweit. Nur zum Beispiel: Die coverage des WDR sagt nichts zu der hochkritische Haushaltssituation, die in der nun anstehenden Wahlperiode zu vollständigem Abbau des Burscheider Eigenkapitals und Streichung freiwilliger kommunaler Leistungen führen wird, damit auch alle kostenverursachenden Wahlankündigungen (u.a. Alleenradweg, Gymnasium, Kunstrasen) als frivol zeigt. Und die - wenn keine Trendwende gelingt - das Ende eines selbstständigen Burscheids bedeutet.

Weitere Ergänzung nach Eingang einer Reaktion des WDR auf meine Bitte um Berücksichtigung

Hier das Antwortschreiben des WDR im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Dr. Voss,

vielen Dank für Ihre kritische Zuschrift zur "Lokalzeit Bergisches Land" zum Thema Bürgermeisterwahl in Burscheid. Dass Sie Ihre Belange als Einzelkandidat gewahrt wissen möchten, ist selbstredend, dennoch ist Ihr Vorwurf der einseitigen und tendenziösen Berichterstattung für uns nicht gerechtfertigt.

Der WDR ist der Ausgewogenheit im Programm verpflichtet. In diesem Sinne greift der Beitrag die Kommunalwahl in Burscheid unter dem Aspekt der Vorstellung der vier konkurrierenden Kandidaten für das Bürgermeisteramt auf. Ihre Mitbewerber erscheinen dabei in Bewegtbildern und mit O-Tönen, in denen sie zu ihren politischen Zielen und anstehenden Aufgaben kurz Stellung beziehen. Sie haben wir mit einem Foto präsentiert und die Zuschauer durch einen Begleittext über Ihre programmatische Forderung informiert.

Diese Darstellungsform ist nicht zu beanstanden. Es wird ein vollständiges Abbild über alle sich zur Wahl stellenden Bürgermeisterkandidaten gegeben. Beim Darstellungsumfang konnte dabei abgestuft werden nach der politischen Bedeutung und Gewichtung der einzelnen Kandidaten. Die Erfolgsaussichten der Wahl sind ein zulässiges Differenzierungskriterium für die unterschiedliche Darstellungsform. Nach der bisherigen politischen Bedeutung Ihrer Mitbewerber und auch mit Blick darauf, dass diese für eine Partei bzw. für eine Wählergruppe antreten, ist es aus journalistischen Gesichtspunkten gerechtfertigt, über diese Kandidaten umfassender zu berichten, deren Erfolgsaussichten höher einzuschätzen sind, als bei einem Einzelkandidaten. Unserer Erfahrung nach haben Einzelbewerber geringere Erfolgschancen, wenn sie nicht Unterstützung durch Wählergemeinschaften oder politische Parteien erhalten oder wenn sie nicht eine besondere Bekanntheit im Ort haben, z.B. weil sie Amtsinhaber sind, eine Schlüsselposition inne haben oder Positionen in gesellschaftlich relevanten Gruppen, Vereinen oder Verbänden bekleiden.

Auch die "Westdeutsche Zeitung" (Ausgabe Burscheid vom 16.7.09) schätzt Ihre Aussichten auf das Amt des Bürgermeisters eher als gering ein. Durch die Form Ihrer Vorstellung als Bürgermeisterkandidat haben wir daher Ihrem Anspruch auf Darstellung gegenüber dem interessierten Wahlbürger genüge getan.

Ausgewogenheit und Fairness in der Berichterstattung sind ein wesentliches Qualitätsmerkmal des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser Qualität sind wir in der täglichen Arbeit verpflichtet und sind daher davon überzeugt, auch in der Berichterstattung zur Kommunalwahl in Burscheid diesem Grundsatz gerecht geworden zu sein.

Mit freundlichen Grüßen

Christian Honerkamp

(stellv. Studioleiter)

Anmerkung:
Der Begleittext zu meiner "Vorstellung" im schnell bewegten Standbild, der über meine "programmatische Forderung" informierte, lautete

"Karl Ulrich Voss möchte die Bürger künftig stärker in die Politik integrieren."

Könnte ich es doch! Aber der WDR geht lieber auf Nummer sicher und beruft sich kurzerhand auf eine Wahlprognose der WZ. Berthold Kohler hat mal vor einigen Jahren in der F.A.Z. im Kontext "Auslandsauftrag der Bundeswehr" geschrieben, dass "es in Deutschland wohl schon deswegen keine Revolutionen geben könne, weil niemand sie bemerken will." Das klingt mir hier in den Ohren. Etwas positiver sieht es allerdings der SPIEGEL in neuerer Zeit: http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,608483,00.html.

Dann noch etwas zur journalistischen Sorgfaltspflicht: Hier hatte der für den "Wahlcheck Burscheid" verantwortliche WDR-Autor massiv gehudelt. Dazu findet sich in der obigen Stn. garnichts: Kein Wort über die wirklich kritische Haushaltslage, über städtischen Verfall, über meine differenzierten Positionen zu Radweg, Rastanlage, Sportstätten. Alles Friede, Freude, Eierkuchen. Die kommunale Demokratie schläft weiter einen süßen Schneewittchen-Traum und der WDR ist nicht der forsche Ritter, der die Holde wachküssen kann und will. Er muss rastlos weitereilen zum nächsten Sarkophag. Sarkophag meinte in der ursprünglichen Bedeutung (σαρκοφάγος oder "Fleisch verzehrend") eine spezielle Schieferart, die die darin bestatteten Leichen in 40 Tagen vergehen ließ, bis auf die Zähne.

Burscheider Baustellen


Unser Rathaus ist eingerüstet. Zu beklagen ist ein Dachschaden und schon länger feuchtet es durch. Der Beigeordnete hat vor kurzem Stellung genommen und treuherzig darauf hingewiesen, im eigentlichen Sinne sei es ja gar nicht „unser“ Rathaus, sondern das der Sparkasse und diese habe den Schaden abzustellen. Ja, ja, das ist wohl so. Aber was hier als cleverer Vorteil erscheint, ist es eigentlich nicht. Es zeigt nur an, dass Burscheid seit langen Jahren zur Miete wohnt und dass Burscheid seine Büroräume auch nicht mehr zu seinen Aktiva rechnen kann. Das erinnert mich ein wenig daran, dass vor langen Jahren das Bundesinnenministerium eine feine Bleibe in Westberlin gesucht hatte und eine windige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung vorgelegt hatte, nach der das Anmieten für mehr als eine halbe Mio. € / Monat eine angeblich „preiswerte Lösung“ war; siehe auch zur neueren Entwicklung: hier. Anm.: Trotz solchen Wirtschaftsgebarens wird die Bundesebene nicht so schnell pleite gehen (der Begriff stammt übrigens aus dem Jiddischen und bedeutet „als Schuldner fliehen“, weswegen der sprichwörtlich gewordene „Pleitegeier“ auch gar kein Vogel ist, sondern der hinweg eilende Schuldner höchstpersönlich). Er wird vorher noch weidlich die Landes- und Kommunalebene ausgenommen haben. Leider protestiert dagegen so gut wie niemand. Man könnte aber auch Freunde und Bekannte treffen.

Die weiteren Baustellen stimmen auch nicht sonniger. Es sind letzthin arge Zahnlücken in unsere Vergangenheit geschlagen worden, im unteren Stadtzentrum. Da wieder fällt mir ein, was auf der Wikipedia-Burscheid-Seite steht, und zwar unter „Sehenswürdigkeiten“: „Darüber hinaus gibt es zahlreiche denkmalgeschützte Gebäude in der Innenstadt … .“ Muss man sich nicht fragen, ob wir sorgsam mit dem umgehen, was spannend ist an Burscheid? Gehen wir wohl nicht; z.B. in der Nähe der Kirchenkurve mehren sich herzlose Zeichen des Verfalls.

Kandidaten Nr. 1-2-7-8, Matthäus 19, 30 und die Tanzwut

Es ist noch etwas zum weißen Wahlschein für die Bürgermeister-Wahl nachzutragen, und zwar zur schrägen Nummerierung dort. Vier Bewerber, das ist bekannt: Caplan, Jakob, Voss, Baggeler. Vor den Namen stehen auf dem Wahlschein Nummern, aber sehr seltsame:
1. Caplan
2. Jakob
7. Voss
8. Baggeler

Für uns beide, die hinten stehen, sieht das aus wie “unter ferner liefen” und das Auge des unentschlossenen Wählers mag hier schon ermüdet sein. Oder er mag den unerklärten Zahlenabstand als irgendwie verdient und als Omen für die Wahl ansehen.

Das Wahlamt erklärt es mir so: Die Bewerber nehmen von den Listen für die Ratsbewerbungen “ihre” Nummerierung “mit” in die Bürgermeister-Liste. Wer so frei ist wie ich und gar keiner Partei angehören möchte, der muss sich schon auf der Ratsliste hinten anstellen; so komme ich zu meiner “7". Zwischenbemerkung: Das ist übrigens die einzige "7" unter allen Ratsbewerbern. Will auch sagen: Außer mir ist keiner unabhängig und garantiert unverklüngelt. Dann kann man die “7" auch als Ehren- und Glückszahl ansehen. Herr Baggeler tritt in keinem Wahlbezirk an und ist deswegen noch einen weiteren Platz nach hinten gerutscht (“Gehe nicht über Los, ziehe keine 400 € ein!”).

In dieser Argumentation steckt allerdings ein Systemfehler: Nach neuerem Kommunalrecht werden Ratswahl und Bürgermeisterwahl als völlig getrennte Vorgänge betrachtet, die i.J. 2009 letztmals und daher nur zufällig auf ein und den gleichen Wahltag fallen. Dann kann aber im Grunde kein Konnex zwischen der Aufstellung in der einen oder anderen Prozedur bestehen. Und dass die Parteien, die sich gar nicht erst trauen, eigene Kandidaten ins Rennen zu schicken, den besonders initiativen Demokraten auch noch die Rangplätze wegnehmen, das ist schon sehr bizarr.

Nur, wie gesagt, die Nummerierung hat keine inhaltliche Aussage, sie ist – wie so vieles im Leben – reines Ritual. Aber viele, die da sind die Ersten, werden die Letzten, und die Letzten werden die Ersten sein (Matthäus 19, 30).

Vielleicht sind in 1 – 2 – 7 – 8 auch relevante Hinweise codiert: Wenzel II. von Böhmen und zunächst unter Vormundschaft des Markgrafen Otto von Brandenburg, kämpft im Jahre 1278 gegen den Adel und wird später polnischer König. Das mongolische Reich ist auf der Höhe seiner Macht und zerfällt ab hier. Und aus verschiedenen Landstrichen Europas wird von einer Tanzwut berichtet, einem religiösen Massenwahn mit veitstanzähnlichen Zuständen.

Bei WDR Lokalzeit sitzen die Parteien in der ersten Reihe

Schreck in der Abendstunde: Ein freundlicher, aber sehr erregter Bürger ruft mich am Mittwochabend (12.8.2009) an: Ob ich wüsste, was gerade auf WDR-Lokalzeit gelaufen wäre? Nein, wusste ich nicht, aber ich war gleich genauso aufgeregt. Sie können es gerne per Internet-Stream genießen, der WDR dokumentiert alles sehr professionell und man kann es noch eine Zeit lang abrufen.

Zunächst kam eine kurze Nachricht über das Problem mit den Burscheider Wahlzetteln: Die Angabe von Listenmitgliedern einer Partei war falsch, die Wahlzettel werden neu gedruckt und etwaige Briefwähler müssen neue Wahlunerlagen beantragen. Anm.: Wenn Sie dazu gehören, sollten Sie schnell selbst initiativ werden; vermutlich kann die Stadt die bereits eingesammelten Wahlzettel nicht mehr ohne weiteres den Wählern zuordnen.

Dann aber der WDR-Hammer: Eine Reportage über die Burscheider Bürgermeister-Kandidaten mit kurzer Vorstellung und Gelegenheit zu Statements, alles live und in Farbe. Der Schönheitsfehler: Es waren nur die Partei-Kandidaten, die da in der ersten Reihe saßen. Von dem einzigen unabhängigen Bewerber, also von mir, wurde sozusagen aus dem Off kurz ein Stand-Bild hineingewedelt. Mit dem Hinweis, dieser Bewerber wolle sich mehr um den Kontakt zu den Bürgern bemühen. Und schon wanderte ich wieder ins Off.

Probleme hat Burscheid in der hübschen Welt des WDR so gut wie keine, Debatte gibt's auch nicht: Alle sind für den Alleenradweg (der in der eingeblendeten Karte noch bis Lennep ging). Die Autobahnrastanlagen sind natürlich des Teufels, von vorne bis hinten: Kein müdes Wort über etwaige Chancen wie den besseren Schutz derBürger gegen Autobahnlärm, über Potenziale für Steuern, Arbeitsplätze, Standortwerbung und die Beteiligung unserer lokalen Wirtschaft bei den Ausschreibungen; kein Wort auch über den unnötig vom Zaum gebrochenen Konflikt mit Leverkusen. Alles Friede, Freude, Eierkuchen und auch der fortschreitende Verfall der unteren Stadtmitte kam nicht ins Bild. In einem Nebensatz wurde mal eine etwas angespannte Mittelsituation fahrig gestreift. Kein Wort darüber, dass das kommunale Vermögen - im Haushaltssicherungskonzept nachlesbar - in drei Jahren aufgebraucht sein wird. Alles gepflegt, fröhlich und beschwingt wie die Tänzer auf der Titanic, von kleinen neckischen Ellenbogenstößen unter Vertrauten mal abgesehen.

Man weiß nur, was man sieht. Sagt der Kameramann gerne.

Ich habe beim WDR nachgefragt, was denn da passiert ist. Bisher keine Reaktion. Ich werde es hier ergänzen, wenn ich Genaueres weiß. Als überzeugter Demokrat kann ich derzeit nur schäumen.

Nachtrag siehe Post vom Abend!!!

Wahlkampfkosten: Null Komma Josef





Kleines Selbstlob ist auch hier und da nötig: Mein Wahlkampf hat eigentlich einen Ehrenpreis für Discounter verdient. Für den Steuerbürger, für die Parteien und für etwaige geneigte Spender entstehen Null Kosten. Aber ich versuche auch den Aufwand so niedrig wie möglich zu halten, will mit meinen Ambitionen nicht noch das Erbe meiner Kinder schmälern. Drum sind meine Werbungen auch recht klein – ich habe des innovative Konzept des Mikro- oder Nano-Plakats entwickelt – und selbst meine Dreiecksständer folgen eher einem Puppenhausmaßstab. Also David gegen dreimal Goliath. Das ist doch eine Herausforderung!

Aber wie funktioniert das überhaupt mit den Kosten, bei den freien und „unfreien“ Bewerbern?

Anders als bei Bundes-, Landes- oder EU-Wahlen gibt es keine staatliche Hilfe, so sagt § 48 Kommunalwahlgesetz: „Eine Erstattung von Wahlkampfkosten findet nicht statt.“ Ohnehin ist die frühere Form der Wahlkampfkostenerstattung nach dem einschlägigen Urteil des BVerfG von 1993 unzulässig. Sie wurde durch eine staatliche Bezuschussung ersetzt, bei der Wahlergebnisse eine der Bemessungsgrundlagen sind, § 18 Abs. 3 Parteiengesetz.

Bewerberinnen und Bewerbern für das Bürgermeister- oder Landratsamt haben Wahlkampfkosten grundsätzlich selbst zu tragen. Und manche bringen auch eigenes Geld mit, zumal wenn das zu erkämpfende Amt wirtschaftliche Vorteile verspricht. Anm.: Das ist in meinem Fall nicht der Fall; ich habe scheint's halbwegs gute Arbeit geleistet und werde heute bereits wie ein Burscheider Bürgermeister besoldet. Nur könnte ich künftig mit dem Einrad zum Arbeitsplatz fahren (das fiele bei derzeit 65 km etwas schwerer).





Grundsatz also: Selbstzahler. Aber auch die die Kandidaten stützende Partei oder Wählergruppe kann Kosten übernehmen. Durch das Parteiengesetz ist eine solche Zuwendung von der Zweckbindung derjenigen staatlichen Mittel gedeckt, die den Parteien nach dem Parteiengesetz gewährt werden (s.o.). Denn den Parteien werden für die ihnen allgemein obliegende Tätigkeit, an der politischen Willensbildung mitzuwirken (Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG, § 18 Abs. 1 Satz 1 ParteiG) sogar staatliche Mittel als Teilfinanzierung gewährt. Deshalb dürfen sie neben den nach dem Parteiengesetz empfangenen Mitteln auch Mitgliedsbeiträge und Spenden zur Unterstützung einer Bürgermeister- oder Landratskandidatur einsetzen. So eine Erläuterung unseres Innenministeriums, hier im Original.

Will sagen, Mittel, die für die Unterstützung der politischen Willensbildung vom Staat gewährt werden (also auch etwa für Schulungsmaßnahmen vor Ort eingesetzt werden könnten), können in den Kommunalwahlkampf umgeleitet werden und das geschieht auch. Ergänzend können Spenden eingeworben werden. Dass dabei eine Verbindung und Vernetzung entsteht, stört und schadet nicht. Nur sollte man sich hüten, konkrete Verwaltungsentscheidungen zugunsten des Spenders zu versprechen, zumal wenn man bereits Amtsträger ist. Aber in den meisten Fällen ist der Geber ja bereits mit einer parallelen Weltsicht zufrieden, was am Ende auf das Gleiche hinauslaufen mag. Sodann kann der Bewerber seine eigenen Kosten auch als Sonderaufwand von der Steuer absetzen. Aus allen diesen Möglichkeiten erklären sich die vielen glänzend-bunten Druckschriften, große und kleine Plakate – das volle Programm eben.





Ich persönlich habe keine Partei, die mir etwas zustecken könnte oder wollte. Ich werbe keine Spenden ein. Und ich werde auch – bei einem Aufwand, der am Ende 200 € für Kopierkosten und Holz nicht überschreiten dürfte – nichts von der Steuer absetzen. Also: Mein Wahlkampf kostet Sie tatsächlich Null-Komma-Josef. Oder soviel, wie die hier beigefügten Banknoten aus den Zwanziger Jahren nominal noch wert sind – Zero.

Auf der Rückseite der Burscheider Million steht übrigens “Ausgegeben aufgrund der Ermächtigung des Reichsfinanzministeriums”. Das würde sich heute mancher Kämmerer wünschen. Aber kein Finanzminister tun. Die Zunahme der Stellen auf den Banknoten bzw. dem Notgeld dokumentiert überigens die dramatische Eskalation: Die schöne Fünfhunderttausend-Note wurde am 25. Juli 1923 ausgegeben, die Burscheider Million stammt vom 15. August und schon eine Woche später war's die 1 mit acht Nullen!

Samstag, 1. August 2009

Bismarck-Straße - eine bedrohte Art

Es ist schon fast ein Allgemeinplatz: Burscheids Finanzen sind zerrüttet, und zwar heftig. Burscheid gehört zu den Gemeinden NRW’s, bei denen nicht einmal ein Haushaltssicherungskonzept i.S.v. § 75 der Gemeindeordnung (GO) genehmigt werden kann, die daher auf eine “vorläufige Haushaltsführung” gem. § 82 GO verwiesen sind - mit noch stärkeren Einschränkungen für die eigene Wirtschaftsführung. Alle bisherigen Konsolidierungsmaßnahmen konnten die fortlaufende Schieflage des Haushalts nicht beseitigen. Die Grenzen der Finanzierbarkeit kommunaler Lasten sind erreicht bzw. überschritten. Anm.: U.a. aufgrund der rückläufigen Entwicklung bei den Steuereinnahmen konnte die Stadt bereits mit der Fortschreibung zum Haushalt 2003 kein zulässiges Haushaltsssicherungskonzept mehr aufstellen.

In ca. drei Jahren wird das letzte Eigenkapital der Gemeinde aufgebraucht sein, oder: der Saldo zwischen bilanzierten Werten und Lasten wird - ohne Aussicht auf Umkehr - negativ. Das klingt schlimm und ist nach § 75 Abs. 7 S. 1 GO sogar ausdrücklich verboten. Aber im Grunde bewegen wir uns hier in einer Kunstwelt, die in einigem Umfang auf Bewertung und Einschätzung beruht. Die jeweils bilanzierten kommunalen Vermögensgegenstände haben ja auch keinen realen Verkaufsmarkt und damit auch keinen verlässlichen Verkehrswert. Und auch ganz ohne die Instrumente des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (NKF) konnte man die Talfahrt der Gemeinde an den auflaufenden Kreditschulden verfolgen. Das übrigens seit langer Zeit: Soweit ich zurückdenken kann, unsere Kassen klamm bzw. Burscheid gehörte zu den so genannten “Opferstock-Gemeinden”, die Landes-Zuflüsse brauchten und darum unter besonderen Finanzrestriktionen standen. Gerade deshalb lohnt es sich, über die Zukunft nachzudenken. Der zusammenfassende Erlass des Innenministeriums v. 6.3.2009 zeigt unter “5. Umgang mit (drohender) Verschuldung” die Folterwerkzeuge:

Die Regelungen für die vorläufige Haushaltsführung sind eng auszulegen. Handlungsspielräume, die der Kommune in der dauerhaften vorläufigen Haushaltsführung im Wege der Duldung gewährt wurden, können nicht mehr gewährt werden, wenn Überschuldung im Zeitraum der mittelfristigen Ergebnis- und Finanzplanung droht (das ist der Fall Burscheid) oder bereits eingetreten ist. Insbesondere gelten weder die Erleichterung bei der Aufnahme von Investitionskrediten noch die Möglichkeiten der Bildung eines Budgets für Beförderungen, Leistungsprämien und Zulagen. Neue Investitionen dürfen die Gemeinden nur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde im Einzelfall durchführen. Personalwirtschaftliche Maßnahmen, zu denen die Gemeinde nicht verpflichtet ist, sind nicht zulässig. Die Übernahme neuer freiwilliger Leistungen ist auch nicht mehr im Wege der Duldung (durch die Aufsichtsbehörde) möglich. Die Kündigung bestehender Verträge, die Grundlage für die Gewährung freiwilliger Leistungen sind, ist zu prüfen (Erlass 5.11, S. 50).

Insbesondere bei langwährenden Schieflagen des Haushalts kommt auch die Einsetzung eines Beauftragten durch die Kommunalaufsicht gem. § 124 GO in Betracht. Der Beauftragte nimmt auf Kosten der Gemeinde (!!!) alle oder einzelne Aufgaben der Gemeinde wahr, wenn und solange die sonstigen Befugnisse der Aufsicht im Einzelfall (Unterrichtungsrecht, Anordnungs- und Beanstandungsrecht, Anordnungsrecht und Ersatzvornahme) nicht ausreichen. Das ist sozusagen der kommunalpolitische Offenbarungseid - denn in einer solchen Situation ist die durch Wahl selbstgestaltete Verwaltungsführung praktisch suspendiert. Als etwas weniger einschneidende Maßnahme kommt übrigens in analoger Anwendung von § 124 GO auch die Zwangseinsetzung eines Beraters in Betracht, ebenfalls natürlich auf Kosten der Bürger/innen. Das Problem: Wie auch im Gemeinderat mehrfach ausgeführt wurde, sind im Falle Burscheids die Konsolidierungs-Potenziale- unter laufender Beratung durch die Aufsicht - weitestgehend ausgereizt. Im Grunde hätte ein Verwalter dann hier nicht viel anderes zu verwalten, ein Berater nichts Neues zum Beraten.

Dann bleibt am Ende zwangsläufig eine ganz mitleidlose kommunalwirtschaftliche Betrachtung und der Mitleid-erregende Ausruf der Ratsdamen und -herren “Wir haben überhaupt nichts (Falsches) gemacht!” spielt dann gar keine Rolle mehr: Wenn die Stadt sich so nicht mehr trägt und auf mittelfristige Sicht nicht wieder tragen wird, dann muss man über die bisherigen Systemgrenzen hinausdenken und ganz andere Einsparungspotenziale suchen, z.B. durch Zusammenlegung mehrerer Gemeinden. Eine Größenordnung von 20% der Verwaltungskosten, insbesondere Personalkosten verspricht das immer. Nicht sofort vielleicht, aber durch "künftig-wegfallend-" oder "künftig-umzuwandeln-"Vermerke und durch Versetzungen jedenfalls auf Sicht.

Ich fragte vor kurzem einen Kommunalpolitiker, was er davon halten würde. “Hmmm,” war die Antwort, “über die Konsequenzen einer Zusammenlegung habe ich noch gar nicht recht nachgedacht, aber viellicht hat das ja sogar Chancen.” Ich bin nicht sicher, ob sich nach Art der Panzerknacker gerade Dollarzeichen in seinen Augen drehten. Ein Bürger sagte eher achselzuckend: "Viel schlimmer wird's kaum kommen. Ich identifiziere mich schon lange nicht mehr mit Burscheid." Anm.: Das war ein Hilgener. In jedem Fall: Für die Bürger/innen würden die Wege zur Politik und Verwaltung weiter, die kommunale Selbstbestimmung würde noch viel mehr verdünnt. Herr im Hause wären wir weniger denn je.

Und wer in Straßen wohnt, die nach Blumen, Bäumen oder Politikern benannt sind, sollte in den nächsten Jahren Visitenkarten nur noch auf Sicht, also für den sofortigen Verbrauch drucken lassen. Auch die Montanusstraße (gibt’s auch in Leichlingen) und die Bismarckstraße gehören insofern einer bedrohten Art an. Ich weiß ein klein wenig, wovon ich rede: Vor vielen Jahren wohnte ich in Schildgen-Nittum, im damaligen Ulmenweg. Im Rahmen einer unfreundlichen Übernahme hieß unser guter alter Ulmenweg über Nacht dann plötzlich “Isbornweg” - in Bergisch Gladbach gab’s schon einen noch längeren Weg mit der Ulme. Ich wusste vielleicht mal, weiß es aber heute nicht mehr, was und wo ein Isborn überhaupt ist. Gewöhnt habe ich mich daran jedenfalls auch in Jahren nicht.

P.S.: Hab’ gerade noch mal nachgeschaut: Jedenfalls im Duden steht der oder das Isborn nicht. Kuckenberg zwar auch nicht, aber das ist hoffentlich einzigartig in dieser Galaxis.
P.P.S.: Das Bild ganz ober stammt aus unserem Garten; vor ca. zwei Wochen zog eine recht erschreckende, leicht rotierende Sturmfront über Dierath und Kuckenberg. Aber vielleicht hatte das gar nichts mit der Haushaltslage zu tun. Irgendwie erinnert es ja auch an den Emmerich-Action-Film "Independence Day" und vielleicht können wir gemeinsam aus dem 30. August einen Tag der Unabhängigkeit machen, auch den Tag unabhängiger Kandidaten.

Das vaterlose Schild und die Rastanlagen

Aktuelles zu zwei Themen, die ich schon mal angesprochen hatte.

(1) Tempo an der Kreuzung B 232 / Industriestraße u. Dierather Straße

Einige werden sich erinnern: Vor ca. vier Monaten war - aus Richtung Opladen, in Richtung Burscheid-City - vor der Kreuzung eine Tempobegrenzung von 70 km/h auf 50 km/h sang- und klanglos verschwunden. Für mich war das klar Gefahr-erhöhend und ich hatte bei der Stadt nachgehört. Auf weitere Nachfrage erhalte ich nun die Niederschrift einer Verkehrsbesprechung der Stadt mit dem Kreis v. 10.6.2009. Danach war es tatsächlich ein Schild ungeklärter Vaterschaft (kommt wohl in den besten Kreisen vor) und musste weg. Denn Tempobegrenzungen auf Bundesstraßen wären nun einmal nur unter ganz besonderen Umständen - die hier allesamt nicht vorgelegen hätten - zulässig. Kurz zusammengefasst gilt dort also bis zum Beweis des Gegenteils: “Freie Fahrt für freie Autos!” Und trauen Sie keinem Schild mehr, das Ihnen mit frechem Stolz was anderes verkaufen will.
Nun, ist das alles wirklich nicht so tragisch? Üppelige 20 km/h mehr? Hört sich ja nicht weltbewegend an, aber leider ist die Physik hier ziemlich mitleidslos und das kann man ganz nüchtern berechnen.

Nehmen wir mal an, ein Autofahrer auf der Bundesstraße fährt im Februar 2009 mit den vorgeschriebenen 50 km/h fröhlich von Opladen gen Burscheid City. Ca. 35 m vor der Kreuzung sieht er: “Da will jemand aus der Einmündung von Dierath heraus, aber der sieht mich wohl gar nicht!”. Was nicht so wirklich unwahrscheinlich ist, denn häufig - wie auch im Augenblick - sind Gras und Brennesseln auf dem Seitenstreifen hüfthoch und höher gewachsen und die B 232 macht dort auch eine leichte, die Einsicht zusätzlich hindernde Biegung.

Nun, unser Bundesstraßen-Fahrer nimmt seinen üblichen Reaktionsweg bis zum Durchtreten des Bremspedals von 15 m (Faustregel: Anfangsgeschwindigkeit / 10 * 3, im Alter zunehmend) und geht dann voll in die Eisen. Nach weiteren ca. 19 m steht er still - einen Meter vor dem verdutzten Dierather. Anm.: die zugrundeliegenden Formeln zum Anhalteweg finden sich gut beschrieben im Wikipedia-Angebot; siehe weiterführend auch zum teilelastischen Stoß und zur Aufprallenergie ).

Jetzt eine wie es scheint kleine Änderung der Ausgangsbedingungen: Es ist August 2009, der Bundesstraßen-Fahrer darf nun 70 km/h fahren und findet das auch gut so. Sein Reaktionsweg wäre schon mal ca. 0,3 sec und 6 m länger, aber zu Vereinfachung des Vergleichs gehen wir hier davon aus, er hätte seine Vollbremsung an exakt der gleichen Stelle wie sein 50 km/h - Pendant begonnen. Sein Wagen käme nun erst ca. 19 m später als im ersten Fall zum Stehen, jenseits der Kreuzung. Hört sich nicht gut, aber auch noch nicht wirklich aufregend an.

Sehr hässlich wird’s erst, wenn man das verbleibende Tempo am Kreuzungspunkt errechnet, wo er ansonsten ja schon gestanden hätte: Das wären noch immer fast 50 km/h, eine i.d.R. letale Dosis, insbesondere bei dieser Fahrzeugkonstellation, will sagen bei Motor in Breitseite. Viel Zeit zum verdutzt Gucken hätte unser Dierather nicht mehr gehabt. Eine Excel-Tabelle mit den Werten dieses Beispiels, in der Sie auch etwas mit Geschwindigkeiten und Bremsverzögerungen experimentieren können, finden Sie hier; ändern Sie dort einfach die Werte für Verzögerung und Anfangsgeschwindigkeit im Kopf der Tabelle.

Anm.: laut Verkehrsbesprechung ist die Kreuzung bisher hinsichtlich Geschwindigkeiten und Unfällen nicht sehr auffällig Okay: vielleicht bisher! Ich bin nach der Ex-und-hopp-Schilderaktion schon morgens an einem Unfall an genau dieser Stelle vorbeigefahren. Zum Glück nur Blechschäden. Aber ich weiß nicht, was ich in den letzten Monaten alles nicht miterlebt habe.

Ein Bürger aus Kamberg sieht die Problemlage entsprechend und hat inzwischen einen sehr nachvollziehbaren Lösungsvorschlag bekannt gemacht: Ein Kreisverkehr an dieser Stelle würde automatisch das Tempo dämpfen und würde gleichzeitig das schwierige Einfädeln aus der Industriestraße / Dierather Straße nach Verkehrsanfall unterstützen. Eine Reaktion der Stadt kenne ich noch nicht. In jedem Falle halte ich für erforderlich, die Erfahrungen der Bürger auch in Verkehrsfragen systematisch einzubeziehen, nach dem, was ich auf meiner Tippeltour hörte, an vielen Stellen Burscheids. Da muss man nicht gleich vorhersagbare, schnöde Eigeninteressen vermuten; Betroffenheit ist das Hauptregulativ von Demokratien. Und Stadt und Rat können - beim besten Willen - schon aus statistischen Gründen niemals klüger sein als ihre Bürger/innen.

(2) Autobahn-Rastanlage ("Montana"?)

Erfreulich: Auch andere Bürger/innen meinen, die Resolution gegen die Rastanlagen in Burscheid wäre ein wenig aus der Hüfte und sehr instinkthaft geschossen, ohne eine seriöse Bilanz von Nach- und Vorteilen, sogar Ratsmitglieder. Nebenbei haben wir es früher bei der Bundeswehr “Kameradenschweinerei” genannt, gleich einen anderen “Dummen” zu nennen, der doch gefälligst die “Suppe” auslöffeln sollte. Hier nämlich die Nachbargemeinde Leverkusen, die doch sicher gerne ein Stück Bürgerbusch dafür fällen würden - wofür sich die Leverkusener postwendend und zähneknirschend bedankt hatten. Sie merkten die Absicht und waren zu Recht verstimmt. Soweit zu nachhaltig zukunftsweisender, gutnachbarlicher Kooperation; aber vielleicht lag das nur daran, dass über der Burscheider und der Leverkusener Burg jeweils andere Farben wehen.

Aber zurück zu den Nach- und Vorteilen: Im Rat stand bisher die Immissionsfrage im Mittelpunkt, insbesondere eine zusätzliche Lärm-Last für nahe Stadtteile. Das aber ist vermutlich höchst vordergründig oder sehr kurz gedacht. Tatsächlich sind beim Neubau von neuen Rastanlagen die gleichen wirksamen Lärmschutzmaßnahmen fällig, die früher nur für sonstige Abschnitte in der Nähe von Wohnbebauung galten. Will sagen: Das Projekt wird den Lärmschutz für Burscheid nach aller Wahrscheinlichkeit merklich verbessern, nicht etwa verschlechtern. Wie es auch einer der Kandidaten im heißer-Draht-Gespräch mit der Wochenpost am 28.7.2009 einräumte, in einem Nebensatz. Die Dinge sind manchmal nicht so, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Um’s kurz zu sagen: Ich will nicht einigen Burscheidern den Lärm in die Schlafzimmer tragen. Aber ich bin dafür, dass man Nutzen und Lasten für die gesamte Kommune nüchtern klärt und abwägt. Zum Nutzen können Erträge für die Stadt zählen und das durch die Rastanlagen unterstützte Stadt-Marketing; Remscheid zumindest sieht das genau so. Bei der Ausschreibung der beiden Autobahn-Raststätten besteht übrigens auch besonderes Interesse daran, örtliche Gastronomie-Betriebe einzubeziehen. Und dann könnte man den Raststätten sogar eine einladende lokale Prägung geben - vielleicht mit dem Namen “Montana” und einem konkreten Bezug zur Musik (“Burscheid - da ist Musik drin!”).
Ich würde dann die Reproduktion eines Reisepasses beisteuern. Darauf hatte am 10. März 1814 der Polizeivogt des Kantons Opladen von Zuccalmaglio für den Ackerwirth Heinrich Erff, gebürtig von Oberbüscherhof, wohnhaft zu Dierath, (Alter: Vierzigsechs Jahre, Größe: fünf Schuh, zwey Zoll, Haare: schwarzbraun, Stirne: rund, Augbrauen: schwarzbraun, Augen: blau, Nase: spitz und offen, Mund: dick, Bart: braun, Kinn: rund, Gesicht: oval, Gesichtsfarbe: matt, besondere Zeichen: auf der linken Seite der Nase und auf der rechten Seite der Oberlefze ein Mahlzeichen) im Namen des Bergischen General-Gouvernements und der hohen verbündeten Mächte für eine Reise nach Maynz in Familien-Angelegenheiten alle Zivil- und Militärbehörden ersucht, den Vorzeiger frey und ungehindert passiren, repassiren und ihm nöthigenfalls jeden Schutz angedeihen zu lassen.

Das geht heute zum Glück etwas leichter und komfortabler, auch dank der Raststätten zwischendurch. Aber manchmal hat man den Eindruck, die alten Grenzbefestigungen spuken noch in vielen Köpfen herum.